Leck mich am Sack, war das geil!
Mehr Worte braucht es eigentlich auch gar nicht, um das Release-Konzert von Die Toten Hosen zur Feier ihres neuen Albums Laune der Natur zu beschreiben. Es war alles dabei: Flaggen, Schweiß, neuer Stoff, Verspieler, textsicheres Publikum – aber eins nach dem anderen.
Schon lange bevor der erste Ton live im Radio übertragen wird, ist die Stimmung in der verbotenen Stadt großartig. Das Gloria versinkt in Chören von You’ll never Walk Alone, Hey Ho Let’s Go und anderen Mitgröl-Klassiker. An so einem besonderen Abend muss man die Stimmbänder schon vorher auf Betriebstemperatur bringen, denn: Am Anfang war der Lärm und dieser Lärm hört niemals auf.
Die Opel-Gang beim Auswärtsspiel
Pünktlich um 21:03, direkt nach den Radio-Nachrichten, beginnt der Urknall. Fast auf den Tag genau 5 Jahre nach dem letzten Release-Konzert im Gloria betreten die Fünf die Bühne. Ein bisschen gealtert vielleicht, aber ohne an Energie und Opel-Gang-Attitüde einzubüßen. Sie sind Die Toten Hosen und sie sind immer noch da.
Obwohl Laune der Natur am gleichen Tag erst veröffentlicht wurde, bin ich nicht die einzige, die in eiserner Dauerrepeat-Manier über den Tag hinweg schon erstaunlich textsicher geworden ist. Der Album-Opener ist daher für die meisten bereits vertrautes Terrain – ebenso wie der brutale Moshpit dazu. Von 0 auf 100 in zwei Sekunden, ganz ohne Vorspiel.
Die Setlist ist mutig. Statt sich auf das erfolgreichste Album der Bandgeschichte zu verlassen, ist Ballast der Republik mit nur einem Titel vertreten. Altes Fieber hält die Stellung. Kein Tage wie diese oder Das ist der Moment. Der gemeine Radiohörer wird da vermutlich enttäuscht worden sein. Im Gloria freut man sich stattdessen über alte, wenig gespielte Songs wie Wunder, Verschwende deine Zeit oder Achterbahn. Letzteres war eigentlich nicht einmal vorgesehen, sondern eine spontane Reaktion auf vielfachen Wunsch des Publikums. Dass aber die Dauerbrenner Wünsch DIR was, Hier kommt Alex, Bonny & Clyde und Steh auf, wenn Du am Boden bist auch bei einem Release-Konzert nicht fehlen dürfen, ist ja wohl selbstverständlich.
Nachdem das letzte Release-Konzert 2013 noch einen Tag vor dem Veröffentlichungstag stattfand, bauen die Düsseldorfer diesmal immerhin auf eintägige Grundkenntnisse des neuen Stoffs – und das hat sich bezahlt gemacht.
8 von 16 neuen Stücken aus Laune der Natur werden gespielt und bei keinem davon lässt sich das Publikum anmerken, dass die Songs erst 21 Stunden zuvor veröffentlicht wurden. Oftmals textsicherer als Band selbst, trägt das Gloria jeden neuen Song genauso ekstatisch wie die alten Nummern. Immer mal wieder eingestreut, fügt sich der neue Kram an alte Klassiker bis auch der letzte Skeptiker hört, dass Die Toten Hosen immer noch wie die Düsseldorfer Jungs vom Bolzplatz klingen.
Die Opel-Gang vor der Bühne
Wer bei einem so gefragten Release-Konzert Tickets bekommen hat, der gehört wohl in den wenigsten Fällen zum Durchlaufpublikum – auch das war beim Düsseldorfer Publikum in Köln zu spüren. Denn in einer kleinen Location kommt das zum Vorschein, wofür ich das Hosen-Publikum lieben gelernt habe: Die nahezu bedingungslose Kollegialität untereinander. Wo bei anderen Bands sich die Ellenbogengesellschaft auch unter den Zuschauern breit gemacht hat, achtet man hier auf einander. Ob es der Betrunkene ist, den man zum 100. Mal vom Boden aufsammelt und seinen Freunden zukommen lässt, den Fahnenschwenkern auf und abhilft oder im Gedränge auf sich Acht gibt. Loslassen und Ausrasten bis zur letzten Sekunde sind also allererste Prämisse.