Hard Rock, so beschleicht einen derzeit das Gefühl, hat schon erfolgreichere Tage gesehen. Für die einen zu lahm, für die anderen zu old school und der Rest hört sowieso keine „Gitarren-Musik“. Wo steht der klassische Hard Rock heute also? An der Spitze der Charts, wie es in den 80ern regelmäßig der Fall war, wohl nicht. Mit ihrem aktuellen Album Defying Gravity schafft es der Headliner Mr. Big gerade mal (oder immerhin?) auf Platz 65 der Longplayer Charts. Mit welchen Stärken und Schwächen der Hard Rock live zu kämpfen hat, zeigt dieser Abend in der Live Music Hall par excellence.
Den Anfang machen die Amerikaner von Faster Pussycat. Von ihren Wurzeln, dem Glam Metal, ist außer Eyeliner und einer leuchtenden Gitarre nicht viel übrig geblieben. Aber auch die Hard Rock Elemente überzeugen dank mangelnder Präsenz des Frontmanns Taime Downe wenig. „Die fetten Jahre sind vorbei“, möchte man den fünf Musikern gern raten, um zu verhindern, dass sie sich noch eine Dekade lustlos durch ihr altbackenes Zeug schleppen. Für manche Bands aus den 80ern ist der Zenit einfach überschritten.
Aber es gibt ja schließlich den Nachwuchs – und der kann was! Die in den 2000ern gegründete britische Hard/Blues Rock Band The Answer zum Beispiel. Sänger Cormac Neeson ist begeistert von Köln – das hört das Publikum natürlich gern! Während die Iren auf Platte ereignislos klingen, hat das Quartett live ordentlich Power. Gespickt mit einem gefühlvollen Gitarrensolo, wie Santana es nicht besser hätte machen können, und einigen Mundharmonika-Einlagen, sind The Answer an einigen Stellen gewöhnungsbedürftig, aber ein würdiger Support für den Headliner.
Mr. Big hingegen zeigen an diesem Abend, warum der klassische Hard Rock auf keinen Fall tot ist – auch wenn er seine Hochzeit bereits vor zwei Dekaden hatte. Mit dem Opener Daddy, Brother, Lover, Little Boy machen die Amerikaner gleich zu Anfang keine Kompromisse. Eric Martin wickelt das Kölner Publikum in Sekundenschnelle durch seine enorme Bühnenpräsenz um den Finger, während Gitarrist Paul Gilbert die mit Plektren gespickte Bohrmaschine an die Gitarrensaiten ansetzt. Warum auch nicht?! An der anderen Bühnenflanke malträtiert Billy Sheehan wild den Bass und Pat Torpey fratzenziehend seine Felle. Wem Hard Rock „zu lahm“ ist, hat also noch nie eine Show von Mr. Big gesehen.
Eric Martin, die amerikanische Rampensau, begrüßt das Publikum liebevoll mit „Hello crazy Motherfuckers“ und hat bei jeder Ansage eine passende Anekdote oder eine Pointe auf den Lippen. Er weiß eben, was er hat. Nämlich für jeden etwas. Für Alteingesessene greift die Band tief in den Klassiker-Sack und zückt alte Hits wie das Cat Stevens Cover Wild World, Just Take My Heart und natürlich ihren größten Hit To Be With You. Mit sechs Songs schöpfen sie aber auch das aktuelle Album reichlich aus. Wer auf Gitarren- und Basssoli steht, der wurde ebenfalls reichlich beschänkt. Für den normalen Hörer allerdings hätte man diese locker um ein Drittel kürzen können. Nach einem Querschnitt durch die Bandhistorie endet die Show nach knapp zwei Stunden mit dem Rausschmeißer und Titeltrack Defying Gravity.
Mr. Big sind schlichtweg zeitlos. Die Amerikaner hatten zwar ihren Höhepunkt vor Jahrzehnten, haben in den Jahren aber nie an Qualität oder Power verloren, sind nie in Peinlichkeiten abgerutscht, sondern sind bis heute jeden Plattenkauf und jeden Konzertbesuch wert!