Mein erstes Mal Ruhrpott Rodeo beschränkte sich leider nur auf den letzten Tag. Der Bucket-List-Punkt Blümchen mal live zu sehen, muss ich daher verschieben. Massendefekt, Ska-P & Talco standen mir dafür tröstend zur Seite.

Aber von vorn.

Endlich Cryssis

…vorne beginnt unser Ruhrpott-Rodeo-Tag um frühabendliche 18 Uhr. Pünktlich genug, um sagen zu können: „Ich habe einen echten Ramone gesehen!“, aber gleichzeitig dem Elend nicht lange ausgesetzt sein zu müssen. Es hatte scheinbar seinen Grund, warum Marky Ramone seinen Platz Jahrzehnte am Schlagzeug hatte.

Mindestens genauso lang habe ich als Düsseldorferin in Düsseldorf versucht, Cryssis live zu sehen. Man könnte meinen, das sollte in so großer Nähe zum Pitcher mal möglich gewesen sein. Aber nein. Ich muss dafür nach Hünxe (lasst uns mal kurz über diesen Namen sprechen: Wer ist denn da auf den Kopf gefallen, mh?!) auf einen Acker fahren. Spoiler: Das war es wert. Die Spielfreude der Band springt unmittelbar auf das Publikum über, für mich ist es das perfekte Warm Up für alles, was noch kommen soll. Das besondere Fünkchen auf dem Alt-Punker-Sound ist Laura Knapp an der E-Violine. Punk + Klassik. Ein – für meinen Geschmack – viel zu selten (live) genutztes Crossover-Element, dem ich gern noch länger als die eng bemessenen 30 Minuten zugehört hätte.

Massendefekt & das heimelige Konfettiwerfen

Viel Zeit, irgendeinem Act hinterherzutrauern, bleibt beim Ruhrpott Rodeo sowieso nicht. Im galanten Schnellschritt geht’s rüber zur Hauptbühne, auf der bereits das Intro von Massendefekt beginnt.
Nachdem ich es bei der letzten Mini-Tour nicht geschafft habe, meinen Kadaver auch nur zu einem Konzert zu schleppen (Spaß beiseite, ich hatte keine Zeit. Ehrlich!), bin ich super happy die Düsseldorfer nach viel zu langer Zeit wieder auf der Bühne zu sehen.

Ruhrpott Rodeo 2019

Sogar noch knapp vor dem Trompeter von Ska-P waren die vier Herren mit ihren adretten Hawaii-Hemden die bestangezogenen Künstler an diesem Tag! Fesch und luftig starten Massendefekt mit aktuellem Stoff Wo ich dich finde, gefolgt von Schwarz Weiß Negativ, mit dem sie offensichtlich viele Fans im Publikum sehr glücklich machen. Der aufkochende Pit lässt es zumindest vermuten. Die Massendefekt-Fan-Dichte (anerkannte Messeinheit, kurz: MFD, nicht zu verwechseln mit dem Meerschweinchenfreunde Bundesverband Deutschland) sorgt dafür, dass das Konzert von Konfetti aus Händen und Kanonen begleitet wird. Ein warmes, heimeliges Konzertgefühl macht sich in meiner Brust breit, das mich daran erinnert, warum ich Massendefekt so, so gerne (live) höre. Es ist ein bisschen wie Nach-Hause-Kommen (und das in einem Ort namens Hünxe!). Auf eine gute Balance aus neuen und alten Songs ist bei Massendefekt immer Verlass. Und so vergehen die 50 Minuten Düsseldorfer Punk Rock wie im Flug. Ich war bis eben sogar der festen Überzeugung, es können höchstens 30 Minuten gewesen sein.

Organisation deluxe

Statt D.I. bewusst zu hören, folgt für mich eine kleine Futter-Pause. Das Gelände ist hutzelig-klein und hat alles, was so ein (Punk-)Festival braucht. Fress- und Saufstände, Stände mit Dingen zum Anziehen und Ausziehen (Stichwort: kostenloses Akt-Shooting……..), Politik und die Düsseldorfer Rockzentrale. Bei Letzterem verstehe ich die enge Verbindung zwar nicht, aber schön, dass sie da sind.

Letztendlich möchte ich an dieser Stelle die Organisation – zumindest diejenige, die man als Tagesticket-Inhaber zu Gesicht bekommt – von Herzen loben. Sogar die Parkeinweiser waren nett! Am dritten Tag! Ein unbekanntes Gefühl auf einem Festival. Was auch immer ihr da macht, liebes Ruhrpott Rodeo, erzählt es bitte den anderen Festivals. Aber gebt nicht eure Security her. Dazu später mehr.

Weil ich bei Millencolin leider ebenfalls wenig zugehört habe und nicht mit Pseudo-Wissen meine Pseudo-Meinung verbreiten möchte, kann ich nur Stefans Eindruck weitergeben: War geil!
Er wird’s schon wissen.

Die gibt’s ja auch noch: Turbostaat

Aus meiner kurzzeitigen Lethargie wecken mich dann Turbostaat. Zuhause im stillen Kämmerlein höre ich die Band viel zu selten, weil’s mir einfach zu schwer ist. Bei denen sitzt halt das Gefühl im Zweifel genau da, wo es weh tut und das kann ich live weitaus besser verkraften. Dabei ist die Dynamik auf einem Turbostaat-Konzert immer eine ganz Besondere, bei der es eher darum geht die Last von sich zu brüllen. Zu möchtegern-spirituell? Möglich, beschreibt aber mein Verhältnis zur Musik sehr genau: Es ist halt kompliziert. Und irrational.

Ungewohnt ist es auch, die Band im Hellen zu sehen, wo sie sich nicht hinter undurchdringliche, dunkle Nebelschwaden verstecken konnten. Darauf könnten sie ruhig öfter verzichten. Abalonia habe ich persönlich sehr gefeiert, aber auch Harm Rochel, Vormann Leiss (Hach, Klassiker <3) und Insel füllten die zarten 35 Minuten.

Security stiehlt Ska-P die Show

Ich bin nachhaltig ein bisschen verstört von der Bühnenshow der spanischen Ska-Truppe Ska-P, aber mindestens so begeistert von der Security. Ich stand in der ersten Reihe seeeeehr weit rechts, mir blieb also aufgrund des Winkels vieles der anarchischen Bühnenaktivitäten verborgen. Dafür hatte ich umso bessere Sicht auf die Reihe der Securities, die ich hier einfach herausheben muss.

Leider ist es nicht selbstverständlich, dass die Menschen bei der Security ihren Job gut machen (Stichwort: Sputnikhalle Münster), auf Besucher*innen aufpassen, sie ggf. im Zaum halten, Crowdsurfer aus dem Publikum pflücken und dabei noch freundlich sein. Aber diese Männer hier verdienen einen Security-Award. Keinen hält es still auf seinem Platz, wer nicht tanzt wippt zumindest mit Kopf und Fuß. Nicht selten sind sie es, die Applaus oder Jubelrufe anheizen und Circle Pits anfeuern. Während sie auf den Wellenbrechern auf den herannahenden Crowdsurfer warten, tanzen sie weiter und feiern begeistert mit. Dabei machen sie einen exzellenten Job, haben alles und jede*n im Blick und reagieren schnell und sicher, wenn nötig. Beste Security ever.

Ska-P blieb das nicht unbemerkt. Während Sänger Pulpul zunächst misstrauisch die Stimmung zu seinen Füßen mustert und sie später grinsend beobachtet, stattet der Trompeter den Männern im Graben persönlich einen Besuch ab und spielt von dort halt weiter.
Ich bin also vollends überfordert, wohin ich schauen soll. Auf der Bühne passiert allein mit der Standardbesetzung von sieben Mann enorm viel, dazu kommt der Achte, der in wechselnden Kostümen das Bühnengeschehen völlig ad absurdum führt. Dabei liegt gerade einmal die Hälfte überhaupt in meinem Blickfeld.
Musikalisch sind die Spanier grandios und unbestreitbare Herren ihres Chaos. Das Publikum saugt die Energie auf und verwandelt sich in einen staubigen Hexenkessel in der immer kälter werdenden Nachtluft.

Weiter geht’s: Talco!

Eine Verschnaufpause wäre an dieser Stelle sicherlich hilfreich gewesen, aber die Stimmung schwappt genauso energiegeladen einfach rüber zur kleineren Bühne und damit zum Rausschmeißer des Festivals: Talco. Weiter geht das Skanken, diesmal zu italienischem Ska, angereichert mit mehr Punk als zuvor. Die Italiener profitieren vom nahtlosen Übergang und sehen sich einem willigen Publikum gegenüber, das von Sekunde eins voll da ist. Der harte Kern im Pit versiegt auch über die 60 Minuten hinweg nicht, nur hinten raus dünnt sich die Menschenmenge langsam aus. Bei Talco ist es egal, ob sie um 13 Uhr als Opener oder 23 Uhr als Rausschmeißer fungieren, die Italiener kriegen mit ihrer punkigen Ska-Attitüde jeden Hintern in Bewegung. Nur das Iron-Maiden-Cover von The Trooper könnte man sich in Zukunft sparen. Die Nummer ist dann doch zu groß.

Wenn das LineUp stimmt, wird 2019 nicht das letzte Mal Ruhrpott Rodeo für mich gewesen sein.