Michael Jackson hat angeblich Kinder vergewaltigt, Chris Brown hat Rihanna übel zugerichtet und Tina Turner hat von ihrem Bühnenpartner auch lange Zeit immer richtig was auf den Deckel bekommen. Und naja, Tim Lambesis (As I Lay Dying) hat einen Auftragsmörder auf seine Ehefrau angesetzt. Kann man jetzt drüber lachen, weil es so lächerlich ist, oder man stellt sich eine Frage, die wahrlich nicht leicht zu beantworten ist: Sollte man den Künstler und sein Kunstwerk voneinander trennen? Kann man das überhaupt richtig? Oder sind Image, soziales Auftreten und Musik mittlerweile zu stark miteinander verwoben?

Aber erstmal ein bisschen Backgroundinfo, um euch die Situation zu erkären. Am siebten Mai 2013 wird Tim Lambesis wegen Anstiftung zum Mord an seiner Ehefrau Meggan verhaftet. Der Hitman, den er auf seine Frau ansetzt, ist aber leider ein Undercover Cop. Doof gelaufen. Er wird zwar zunächst zwar wieder freigelassen, aber im Oktober erneut verhaftet, und dieses Mal gesteht er seine Schuld. Tim Lambesis wird am 16. Mai 2014 zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das veranlasst den Rest von As I Lay Dying, deren Frontmann er war/ist, eine Pause einzulegen und kein weiteres Material zu produzieren. Ob das die richtige Entscheidung war damals, darf jeder für sich entscheiden, mich hätte auch eine neue Stimme wahrscheinlich nicht zu sehr gestört. Um ehrlich zu sein, wäre es aus meiner Sicht die bessere Option gewesen.

Am 17. Dezember 2016 wird Lambesis auf Bewährung aus der Haft entlassen, und wird auch recht zügig wieder Frontmann seiner Band. Vor mehr oder minder einem Jahr veröffentlichen As I Lay Dying den Track „My Own Grave“, der sich thematisch mit Tims Seelenleben und seiner Schuld befasst. Er gesteht, mit einigen Dingen in seinem Leben falsch umgegangen zu sein und dass er nicht stolz auf das ist, was er getan hat. Wären wohl nur wenige, aber immerhin: Einsicht ist ja bekanntermaßen der erste Schritt auf dem Weg der Besserung. Der Refrain ist dann der Gipfel der Schuldgefühle, er hat sich sein eigenes Grab geschaufelt, mit dem absoluten Tiefpunkt in seiner Inhaftierung. Alles ganz, ganz schlimm, mir kommen wirklich die Tränen. Wisst ihr, was aber das eigentliche Problem ist?

Wenn ihr Metalcore mögt, wird euch der Track, so wie mir, sehr gut gefallen. Das ist ein echter Brecher. Die Vocals sind on Point und der Rhythmus ist mehr als treibend. Und das bringt mich in eine moralische Zwickmühle. Vor allem, wenn ich dann auch bedenke, dass der Ansturm auf die Reunion-Tour riesig ist, und viele der Hallen als ausverkauft gelten werden, beziehungsweise galten.

Sollte ich die Musik, die Tim Lambesis produziert hat und immer noch produziert, aus meiner Playlist schmeißen, weil er selbst wohl kein so korrekter Dude ist, oder sollte ich ihn als äußerst guten Musiker betrachten und den Rest ausblenden? Bei Michael Jackson ist es ja so, dass auch er mit Anschuldigungen konfrontiert wurde, die es in sich hatten. Da bei ihm allerdings nie ein Urteil gefällt wurde (oder auch werden konnte), brennt diese Frage nicht so sehr unter den Fingernägeln wie in unserem Fall mit dem lieben Tim.

Es ist sehr schwer geworden, klare Trennlinien zu ziehen, vor allem in Zeiten, in denen viele Musiker ihr tagtägliches Leben auf Insta oder Facebook teilen. Es ist sehr schwer geworden, zu erkennen, wan jemand als Musiker zu mir spricht, und wann er das als private Person tut.

Was aber nach wie vor sehr gut möglich ist, ist, dafür zu sorgen, dass ich jeden Fall dieser Art gleich behandle: habe ich bei Michael Jackson damals getrennt, als die Anschuldigungen aufkamen zwischen dem Menschen und dem Musiker? Oder habe ich aufgehört, mir seine Tracks anzuhören? Habe ich mir nachdem die Anschuldigungen gegen R. Kelly aufkamen weiterhin seine Mukke gegeben oder gesagt, dass ich eine so jemanden nicht unterstützen will? Und genau diese Fragen muss ich mir als bewusster Zuhörer auch jetzt stellen. Schließlich gilt gleiches Recht für alle, nicht? Und bei Tim Lambesis sind es ja nicht nur Anschuldigungen, das ist uns allen bewusst.

Ich habe für mich selber einen guten Kompromiss gefunden, und der sieht wie folgt aus: die Musik, die As I Lay Dying veröffentlichten, bevor sie Tim an den Knast verloren, fand ich nie berauschend. „My Own Grave“ ist einer der wenigen Tracks, die mir richtig zusagen. Diese wenigen Tracks ab und an zu streamen, wird Tim und Co. nicht reich machen, zumindest nicht reicher als sie es eventuell schon sind. Aber Konzerte und Merchandise? Ich käme mir widerlich vor, jemandem auf einer Bühne zu applaudieren, vom dem ich weiß, dass er ein verurteilter Straftäter ist, geschweige denn über Shirts oder andere Merchandise-Artikel Werbung für ihn zu machen, und das ist Merchandise letztendlich: ihr macht Werbung für jemand, und er bezahlt euch nicht mal.

Stellt euch bitte diese Fragen. Auch wenn sie wirklich unangenehm sind. Kommt für euch zu einer Entscheidung, die ihr mit eurem Gewissen vereinbaren könnt. Seid Zuhörer, denen mehr bewusst ist als das letzte bisschen des Rattenschwanzes.