Sehnsucht

In den letzten Jahren habe ich immer spaßeshalber von Entzugserscheinungen nach drei Monaten Konzertabstinenz gesprochen. Mittlerweile sind wir bei neun Monaten und das Ende ist nicht in Sicht. Über den Entzug bin ich hinaus, aber das schwarze Loch ist trotzdem da.

Natürlich wusste ich, wie wichtig Konzerte für meine Psyche sind: Kopf aus, Bewegung an. Mir fehlt die Freiheit in Körper und Geist. Mir fehlt das Soziale, mich regelmäßig in Menschenmassen zu bewegen, deren soziale Regeln ich beherrsche, auf die ich mich verlassen kann und in denen ich mich sicher fühle. Moshpits können sich für mich wie der sicherste Ort der Welt anfühlen.

Angst

Angst davor, dass es jemanden im nahen Umfeld einmal härter trifft. Angst davor, wie rücksichtslos und egoistisch Menschen sein und noch werden können.

Und auch die Angst, wie es für mich wird, wenn das normale Leben wieder anfängt und meine isolierte Psyche wieder unter Menschen gerät.

Dankbarkeit

Alle Menschen in meinem Umfeld sind bisher gesund geblieben. Alles andere ist nebensächlich.

Vielleicht nicht ganz nebensächlich: Mitten in der Pandemie nach monatelangem Hängen und Hoffen durfte ich in der kleinen Corona-Atempause (fast) genau wie geplant den verrückten, liebenswerten Mann an meiner Seite heiraten.

Sicherheit

Während andere Menschen um ihre Existenz bangen, habe ich Corona meinen Job zu verdanken, in dem ich total happy bin. Ich hatte das unverschämte Glück, dass ich zu Beginn der Pandemie einen Aushilfsjob in einer Landesverwaltung hatte. Als sich die Ereignisse dann im März überschlugen, wurde ich gebeten zu bleiben – und hab’s keine Sekunde bereut.

Jetzt ist mein Arbeitszuhause die interne Kommunikation in einer Verwaltung. Eine Arbeitsstätte, die ich immer als NoGo für mich erachtet habe. Dabei mache ich inhaltlich genau das, was ich immer gemacht habe: Stark zielgruppenorientierte Content-Erstellung. Aber statt bereits kulturinteressierten Menschen coole Projekte nahe zu bringen, versuche ich dem gemeinem Verwaltungsmenschen die Digitalisierung schmackhaft zu machen. Spoiler: Die Herausforderung ist größer geworden.

Neben dieser beruflichen Sicherheit bleibt auch meine Selbstsicherheit. Die Selbstsicherheit, dass ich tatsächlich doch in der Lage bin, mich in einem Angestelltenverhältnis wohlzufühlen und dort, aber auch privat, über mich hinaus zu wachsen.

Aber auch die Sicherheit, dass ich wahnsinnig tolle Freunde habe, die mich mit ihrer Aufmerksamkeit vor allem in diesem Jahr ganz sprachlos gemacht haben.

Es geht weiter

Corona wird uns noch einige Zeit begleiten. In welcher Form haben wir bis zu einem gewissen Grad in der Hand. Machen wir solange das Beste daraus. Und bis dahin und danach buttern wir jeden Cent, den wir erübrigen können, in die Kulturstätten und Kulturschaffenden. Damit wir danach noch Orte und Menschen haben, die wir brauchen, um das Leben wieder richtig zu feiern.

Und bei dir?

Erzähl mir gern in den Kommentaren hier oder auf Instagram, was für dich von 2020 übrig bleibt.