Es ist so weit, ein lang gehegter Traum wird wahr – Helloween gehen auf Tour. Nicht irgendwie, Nein. Mit Michael Kiske und Kai Hansen. Den beiden Ex-Mitgliedern, zu deren Zeit die legendären Großtaten Keeper of the seven Keys Part 1 & 2 entstanden sind. Kurz vor dem Konzert in Bochum also die perfekte Gelegenheit, sich die Keeper-Trilogie (Part 3, The Legacy, ist später mit Andi Deris am Mikrofon entstanden) noch einmal genauer anzuhören!
Die Band
Helloween wurden 1984 in Hamburg von Kai Hansen, Markus Großkopf, Michael Weikath und Ingo Schwichtenberg, der bereits 1995 verstarb, gegründet. In dieser Formation spielte die Band ihr Debüt Walls of Jericho ein, das ebenfalls Kultstatus besitzt – aber noch mehr im Speed-Metal zu verorten ist. Ihren Stil fand die Band endgültig, als Michael Kiske mit gerade einmal 18 Jahren zur Band stieß. Später verließen sowohl Hansen als auch Kiske die Band, aktueller Sänger ist Andi Deris, der bereits bei Pink Cream 69 am Mikro stand.
Helloween haben den europäischen Power-Metal entscheidend geprägt und genießen gerade in Südamerika Kultstatus. Vor allem die beiden Keeper-Alben von 1987 und 1988 haben die Metal-Geschichte verändert. Besonders im Fokus steht dabei oft Publikumsliebling Michael Kiske, dessen Gesang sich perfekt mit dem Begriff „Goldkehlchen“ beschreiben lässt. Hervorzuheben sind auch die immer wieder eingestreuten Basssoli von Großkopf, der ohnehin – im Gegensatz zu vielen anderen Bands – einiges zum typischen Bandsound beisteuert.
Keeper of the seven Keys Part 1
Das kurze Intro Initiation leitet das Album ein, und mit I’m Alive beginnt das Album bereits furios. Helloween bleiben hier noch etwas an ihren Speed-Metal-Wurzeln, mit Kiske am Mikrofon werden jedoch bereits deutlich melodischere Pfade beschritten. Diese zeigen sich dann in Twilight of the Gods besonders deutlich, einem typischen Hochgeschwindigkeits-Helloween-Track, wie er im Buche steht. Auf dem Album findet sich auch das legendäre Future World – ein Klassiker, der bereits mit seinem unverkennbaren Riff live nach wie vor für Ekstase sorgt. Future World ist eine klassische Metal-Hymne, die Helloween kaum besser schreiben könnten. Sollte man meinen…
Kernstück des Albums ist das 13-minütige Epos Halloween (diesmal mit a!). Der Song widmet sich der einzigartigen Magie, die an Halloween in der Luft liegt. Der Band gelingt es, eine unvergleichliche, bedrückende Atmosphäre einzufangen, die dem Fest der Geistervertreibung würdig ist. Ruhige Passagen und rhythmische Teile bauen eine bedrohliche Spannung auf und scheuen sich dabei auch nicht vor dem Gebrauch einer Orgel, und die Spannung entlädt sich in den Hochgeschwindigkeitsparts, die das Trademark des europäischen Power-Metal sind. Immer wieder werden halsbrecherische, atmosphärische Soli eingebaut, und über allem thront Michael Kiske – mal schaurig wispernd, mal schaurig hohe Stimmlagen erklimmend. Die Blaupause des Power-Metal-Longtracks!
Eine satte 9,5 – aber nur, weil Kiske (mit 19 Jahren!) noch nicht ganz auf dem Zenit ist und weil ich weiß, was Part II erwarten lässt…
Keeper of the seven Keys Part 2
Auch Keeper of the seven Keys Part 2 wird von einem kurzen Intro, Invitation, eingeleitet, bevor das Magnum Opus der besagten Hochgeschwindigkeits-Helloween-Tracks folgt: Eagle fly free. Helloween zeigen sich auf diesem Album nun noch einen Ticken melodischer, haben aber kein bisschen an Tempo und zwingendem Riffing eingebüßt. Der Refrain des Openers zeigt zudem eindrücklich, dass Michael Kiske nunmehr sein volles Potential ausschöpfen kann. Keiner erreicht diese Höhen so druckvoll wie Kiske, und sein Vibrato ist ohnehin unvergleichlich. Ich gestehe, ich bin ein Fanboy!
Mit Rise and Fall zeigen sich Helloween von einer humoristischen Seite – der Song, der vor allem im Refrain musikalisch etwas eigen ist, aber kaum abfällt, behandelt die tiefen Stürze eines Sängers, eines Diktators und so manch anderer tragischer Gestalten. Muss man mögen – ich mag’s! Danach geht es grundsolide weiter – Dr. Stein, einer weiteren Bandhymne (derer gibt es einige), die sich mit der Geschichte von Frankenstein befasst. Die nächste Bandhymne lässt auch nicht lange auf sich warten und folgt bereits nach zwei weiteren Songs (darunter March of Time, noch so ein perfektes, schnelles, typisches Meisterwerk) – die Rede ist von I Want Out, dem Song, mit dem Kai Hansen bereits seinen bevorstehen Bandaustritt andeutete. Wenn es einen Song gibt, der unter so zahlreichen Bandhymnen DIE eine, alles überragende ist, dann ist es dieser. Beweis gefällig? Jedes beliebige Video von einem Konzert in Südamerika, bei dem das Eingangsriff angestimmt wird.
Auch auf dem zweiten Keeper-Album ist das Kernstück ein 13-Minüter: Keeper of the seven Keys. Helloween beweisen, dass sie die Kunst, mit Musik eine Geschichte zu erzählen, perfektioniert haben. Die Band baut nach und nach eine undurchdringliche Atmosphäre auf und schafft es, die 13:37 höchst abwechslungsreich zu gestalten. Das Epos mündet letztlich in dem minutenlangen, alles überragenden Solo (inklusive „Halle des Bergkönigs“-Referenz), bei dem sich Weikath und Hansen ein atemberaubendes Duell liefern. Mein persönliches Lieblingssolo überhaupt – selten schafft eine Band es, in ihren Soli eine Geschichte so weiterzuspinnen, wie Helloween es hier gelingt.
Für mich das perfekte Power-Metal-Album, die Höchstnote, 10. Aber nur, weil mehr nun mal nicht geht. Ein Album für die berühmte Insel.
Keeper of the seven Keys – The Legacy
Im Jahr 2005 wagten Helloween, nunmehr mit Andi Deris am Mikrofon und mit Sascha Gerstner (Ex-Freedom Call) an der Gitarre und Dani Löble am Schlagzeug, an ihre Großtaten der 80er-Jahre anzuknüpfen – und veröffentlichten Keeper of the Seven Keys – The Legacy. Vielleicht ist es ein Doppelalbum geworden, um die riesigen Fußstapfen zu füllen, vor denen die Band hier stand?
Die erste CD eröffnet dieses Mal mit dem Longtrack, mit King for a 1.000 Years. Man merkt sofort, dass Helloween im dritten Jahrtausend angekommen sind – der Sound ist deutlich moderner, ohne jedoch seine klassischen Wurzeln zu verlieren. Helloween zeigen, dass sie 13-minütige Songs nach wie vor spannend gestalten können. Wieder gelingt es durch den Wechsel zwischen ruhigeren und schnellen, zwischen düsteren und bandtypisch fröhlichen Parts, einen durchgehenden Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Ganz die Klasse von Halloween oder Keeper of the seven Keys dabei aber nicht – auch, weil sie hier allzu vordergründig durch Chöre, Streicher und Effekte ein Epos kreieren möchte, was in den 80ern noch subtiler und ohne diese Mittel gelang.
Mit The Invisible Man kommen Helloween endgültig im modernen Metal an. Der Song beginnt mit modernem Riffing von Bass und Gitarre, beweist aber im fröhlich-melodischen Refrain, dass Helloween keineswegs ihre Wurzeln verlassen wollen. Die erste CD dieses Doppelalbums beenden vier Highlights hintereinander. Mit Born on Judgement Day präsentiert Weiki ein für ihn typisches, fröhliches und schnelles Stück, das allen Instrumenten Raum bieten – inklusive Soli für Schlagzeug, Bass und Gitarre. Es folgt der energetische Banger Pleasure Drone, der wesentlich von dem abwechslungsreichen Drumming geprägt wird. Die erste Scheibe schließen eine weitere Hymne, Mrs. God, getragen von einem sehr modernen Riff, aber mit jeder Menge Klassikerpotential, und Silent Rain – einem modernen Highlight für Freunde von Eagle Fly Free: Schnell, melodisch, mit einem großartigen Refrain. Einen solchen hat im Übrigen jeder einzelne Titel der ersten CD; der Refrain ist die klassische Stärke der Hamburger. Die erste Hälfte des Doppelalbums verspricht viel!
Aber – so viel kann ich vorweg nehmen – die zweite Hälfte kann das Niveau nicht ganz halten. Sie beginnt mit einem weiteren Longtrack, Occasion Avenue, welcher sich komplexerer Stilmittel bedient. Leider gelingt es Helloween trotz eines großartigen Refrains dieses Mal nicht, den Song durchweg spannend zu gestalten – der Mittelteil hätte für meine Ohren deutlich kompakter gehalten werden können.
Leider erreicht kein Song auf CD 2 des Doppelalbums mehr die Klasse der ersten Hälfte. Sie sind auch alle nicht wirklich schlecht (dass ich Light the Universe als Totalausfall empfinde, liegt mehr an meiner persönlichen Aversion gegen Balladen), aber ein Highlight findet sich leider nicht mehr. Stellenweise wollen Helloween zu viel, zum Beispiel bei My Life for one more Day – ein vielversprechender Song, der durch allzu verspielte Parts beinahe fahrig wirkt und sich nach Stückwerk anfühlt. Er hätte das Highlight von CD 2 werden können, wird jedoch leider runtergezogen. So bleibt es in der zweiten Hälfte des Doppelalbums bei einer Sammlung solider Helloween-Kost aus der Deris-Zeit.
Mit der ersten CD des Doppelalbums haben Helloween kräftig vorgelegt – konnten dieses Niveau aber nicht durchhalten. Dennoch bietet dieses Album dem geneigten Fan zahlreiche bandtypische Hits neben eher durchschnittlichem Material. CD 1 erhielte von mir isoliert eine 8,5, CD 2 „nur“ 7,0 – und weil ich ein Fanboy bin und der Eindruck der ersten Hälfte sehr stark ist, runde ich insgesamt auf eine solide 8,0 auf. Helloween gelingt es mit Keeper of the seven Keys – The Legacy nicht ganz, an die Großwerke der 80er anzuknüpfen. Vielleicht war der große Name doch eine Belastung – dass Helloween es nach wie vor können, haben sie mit steigender Form in den letzten Jahren immer wieder bewiesen.
Auch jüngst haben Helloween ihre aktuelle Form unter Beweis gestellt. Die Band hat mit der ganz großen Besetzung einen neuen Song aufgenommen, der daherkommt wie ein Best Of. Quasi ein Helloween-Destillat. Alle Trademarks der Band, gegossen in einen einzelnen Song. Hört ihn euch an! Und wenn ihr die Großtaten aus über 30 Jahren Bandgeschichte mit Kai Hansen und Michael Kiske auch live genießen wollt: Es gibt auf der Pumpkins United-Tour die Gelegenheit dazu!
24.11.2017 Bochum (Ruhrcongress)
04.12.2017 Berlin (Tempodrom)
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Summary
9.8