Was der Hahn auf dem Land ist, ist der kotzende Nachbar auf dem Festival: Der natürliche Wecker, der per se immer zu früh anfängt, Laut zu geben. Ich gebe zu, es gibt angenehmere Dinge, die man morgens als erstes hört. Anderseits auch eben wenig Lustigere.
Ein bisschen Schadenfreude mussten wir uns eben gönnen. Schließlich hatten wir nach dem Abbruch am Vortag keine Ahnung, ob und wann das Festival fortgesetzt werden kann.
Trotz der unsicheren Lage, muss ich an dieser Stelle die Kommunikation seitens Rock am Ring über die Social Media Kanäle nur loben, denn auf anderen Festivals habe ich das schon anders erlebt. Wer Twitter und Facebook am Samstagmorgen verfolgt hat (Stichwort: Push-Nachrichten) der wusste schon vor den Pressekonferenzen, was Sache ist und konnte sich auf einen völlig normalen Festivaltag freuen.
Der Lidl-Festival-Check | Ob das gut geht?
Aufgrund der frühen Morgenstunde haben wir am Samstag also noch genug Zeit, vor dem heutigen Festivalbeginn bei Lidl vorbeizuschauen. Diese kleinen, überfüllten Mini-Märkte, auf den Campingplätzen verteilt, gab es ja schon immer. Das ganze jetzt zentral in groß aufzustellen, fand ich mutig. Ehrlich gesagt, hatte ich wenig Hoffnungen, dass sich das Festival-Lidl wirklich als festivaltauglich entpuppt. Aber die Umsetzung war grandios!
Morgens war es auch noch möglich, ohne Schlange das Zelt zu betreten. In überbreiten Gängen, in denen es auch unter Vollbelastung nicht klaustrophobisch wurde, reihten sich Palletten an Bier, Energy Drinks, Dosenfutter und sogar Wasser aneinander. Daneben gab es eine passable Auswahl an Obst, Gemüse, Backwaren, Grillgut und (un-)gekühlten Snacks. Kurz: Eine rundum perfekte Festival-Basis! Logistisch war Lidl mit 16 Kassen und super freundlichen Kassierern ebenfalls absolut Rock am Ring tauglich.
Ein Tipp dennoch: Steht lieber früher auf als euch zu Stoßzeiten in die hundert Meter lange Schlange zu stellen! Denn auch dieses Monster-Lidl ist schneller am Ende der Kapazitäten als die Verantwortlichen vermutlich geahnt hatten.
Der Tag danach | Die Bands von Rock am Ring 2017, Tag 2
So ganz normal ist der zweite Tag bei Rock am Ring aber dann doch nicht. „Eins kann uns keiner nehmen“ schallt immer wieder aus den unterschiedlichsten Ecken und nicht wenige haben sich Schilder gebastelt, deren Message eindeutig ist: Ihr könnt uns mal! Und das schließt das Terroristen-Pack genauso ein, wie gewisse Parteien, die den Zwischenfall wieder einmal für sich instrumentalisieren wollen. Das funktioniert nicht. Nicht bei Rock am Ring, ihr Idioten!
Weil dieser Tag ein Line Up wie für mich geschaffen aufwies, tingelten wir morgens direkt durch in die erste Welle. Was bei Lower Than Atlantis noch nach einer guten Idee schien, wurde es bei den Donots schon ungemütlicher. Aber von vorne.
Lower Than Atlantis sind solider Hardcore aus Großbritannien. Live sind sie mir nicht negativ aufgefallen, aber ich habe auch nicht das Gefühl, meine Zeit verschwendet zu haben. Sie sind halt nett.
Möglicherweise ist auch einfach die Vorfreude auf die Donots schuld, dass ich für die Briten an diesem Tag einfach kein offenes Ohr habe. Nach fast einem halben Jahr Donots-Entzug ist es halt mal wieder an der Zeit für eine ordentliche Dosis. Zum Glück wird die auch nicht verdünnt, wenn die Ibbenbürener statt in kleineren Clubs auf der Main Stage von Rock am Ring zocken. Ingo und Co. wickeln einfach jeden um den Finger. Auch mit der Setlist, die vom Opener Ich mach nicht mehr mit über Stop The Clocks, Calling und Problem kein Problem reichte, hatten auch Altbekannte ordentlich Futter, die eher mit den englischen Titeln etwas anfangen können. Auch die HipHop-Begeisterten kamen bei einem Gastauftritt der Antilopen Gang während Kaputt/Beton auf ihre Kosten.
Aber die Donots wären nicht die Donots, wenn sie nicht auch ein klares Statement gesetzt hätten. Leider wurde die Ansage zu ihrem neuen Song Keiner kommt hier lebend raus (aus der Split-Single mit Adam Angst) nicht im Fernsehen gezeigt. War wohl zu ungemütlich, aber da liefern die Donots halt nach:
Weniger ungemütlich geht es weiter mit Sum41. Auch hier ein ähnliches Bild wie bei Simple Plan. Viele Mädchen unterschiedlichen Alters, die gemeinsam lachen und weinen.
Ich selbst muss eher lachen als ich Sänger Deryck Whibley wiedersehe. Ist der Kerl in den letzten 15 Jahren überhaupt gealtert? Trotz überstandenem, alkholbedingtem Organversagen sieht er nämlich immer noch so lausbübisch aus wie in den 2000ern. Seitdem hat der Kanadier aber weder stimmlich zugelegt noch an seinen Gitarren-Skills gefeilt. Kurzum hat mich der Auftritt von Sum41 zwar in mein pickeliges, pubertierendes Ich zurückversetzt, aber musikalisch ist das bis auf einen unangenehm dröhnendes Bass nix gewesen.
Ich bezweifle immer noch, dass sich in der ersten Welle „nur“ 9000 Menschen aufgehalten haben. Denn „voll“ bedeutet in der zweiten Welle immerhin noch, dass man in der Lage ist zu atmen. Luxus direkt vor der Bühne. Davon abgesehen muss doch auch klar sein, dass der Ansturm auf die 10(!) Wasserhähne (oder lass es 12 gewesen sein) bei heißen Temperaturen und dem Mitnahmeverbot von Getränken exorbitant hoch ist. Aber auch hier hatten wir Glück mit den lieben Menschen um uns, die z.T. schon vorzeitig einige Becher nach hinten durchgereicht haben. Danke, Fremde!
Währenddessen lief übrigens Wirtz. Von dem haben wir allerdings während unseres einstündigen Abenteuers „Wasserquelle finden“ nicht viel mitbekommen. Sorry!
Die Broilers hatten am Freitag mit der Unterbrechung ein unglückliches Los gezogen und ein eher mulmigen Eindruck hinterlassen. Auch wenn die Broilers mich nicht umhauen, fand ich es wichtig und richtig, dass man sie noch einmal dazwischen gequetscht hat. Einige Bands haben kostbare Minuten ihrer Show abgegeben und auch vom Publikum habe ich keine Beschwerde darüber gehört, dass sich der Zeitplan etwas verschob.
Mit dem Opener Zurück zum Beton starten die Düsseldorfer wie am Vortag, während der Rest der Setlist umgeschmissen wurde. Songs wie Bitteres Manifest, Ist da jemand und Wie weit wir gehen kommen dennoch erneut zum Einsatz. Ihr neues Album (sic!) ist daher heute mit zwei Songs verhältnismäßig unauffällig vertreten.
Ich tue jetzt so als hätte ich Ahnung von den Broilers und ihrer Diskographie, leider stimmt das nicht. Ich kann nur gut recherchieren. Dennoch: Dass ihr gestriger Auftritt wegen einer Terrorwarnung unterbrochen wurde, merkt man den Fünf nicht an. Viel zu professionell und routiniert scheinen sie dafür in ihrem Jubiläumsjahr zu sein. Gerne würde ich jetzt weiter ausholen, welche Wow-Effekte sie bei mir ausgelöst haben, aber leider hat mich diese Band aus meiner Heimatstadt einfach nicht um den Finger wickeln können.
Eine andere hat das dafür schon lange vorher getan. Massendefekt nämlich. Die spielen zwar an diesem Wochenende nicht bei Rock am Ring, tummeln sich aber auf dem Festival-Gelände und sind sogar so lieb, sich kurzfristig mit uns zu treffen. Die liebe Kati hat das Ganze nur mit meinem Halbwissen arrangiert, weswegen mir vor dem Treffen auch spontan der Arsch auf Grundeis geht. Schließlich habe ich mich bisher immer fleißig inkognito hinter meinen Texten verstecken können. Die Truppe um Sebi war aber so herzlich, dass Aufregung bei mir bald kein Thema mehr ist. Daher auch an dieser Stelle noch einmal ganz herzliches Dankeschön für die Zeit und das Bier! Und das danach. Und danach. Und…ich weiß auch nicht mehr.
Hach, die Beatsteaks! Sie verfolgen mich auf gefühlt jedes Festival und jedes Mal ist es ein kleines, inneres Fest. Ich habe keinen blassen Schimmer von den aktuellen Liedern (aktuell heißt hier seit 2007), aber das ist auch egal. Denn die Berliner sind charmant und energiegeladen, können austeilen, aber auch ins Herz gehen. Wann immer ihr sie sehen könnt: Macht es!
Das Beste kommt aber auch an einem Festivaltag immer zum Schluss: Die Toten Hosen.
Dieser Band verdanke ich die Faszination Musik, mein erstes Festival, meinen ersten Moshpit, meine erste Moshpit-Verletzung und ganz viel anderes persönliches, melancholisches Zeug. Auch dieser Abend ist da keine Ausnahme.
Passend zum Beginn der Düsseldorfer schüttet es wie aus Eimern. Aber es sind die Hosen, also was soll’s. Den eleganten Plastiküberwurf drüber gestülpt und ab geht’s. Der neue Opener Urknall löst zwar Begeisterungsstürme aus, aber man merkt dem Ring an, dass viele die neuen Tracks nicht kennen. Dementsprechend sind die Reaktionen bei den aktuellen Songs eher verhalten, dafür ertönt das ganze Gelände bei Songs wie Bonnie & Clyde, Steh auf, wenn du am Boden bist, Hier kommt Alex oder Zehn kleine Jägermeister. Der Chor aus You’ll never walk alone zieht sich noch minutenlang nach Ende des Konzerts weiter durch die Massen, die sich langsam zerstreuen.
Eigentlich wollten wir uns am Ende des Tages auch noch Kraftklub anschauen. Wir haben es auch versucht, wirklich! Mit einer Tüte Pommes in der Hand, die schneller unter Wasser stand als wir essen konnten, haben wir auf weniger Regen gehofft. Und auf Wärme. Leider half da auch der fancy transparente Regenponcho nichts mehr. Der sah übrigens fabulös aus – auch wenn andere das Gegenteil behaupten!
Statt es sich nach dem langen Tag aber gleich im Zelt gemütlich machen zu können, hieß es für uns: Umzug ins Auto! Denn unser Zelt hielt den Wassermassen, die vom Himmel fielen, einfach nicht stand und es tropfte rein. Aber mein treuer Begleiter seit mittlerweile 10 Jahren macht auch als Schlafzimmer keine so schlechte Figur.
Zum Bericht zu Tag 1 von Rock am Ring 2017.
Zum Bericht zu Tag 3 von Rock am Ring 2017.