Irgendwie fehlte morgens beim Aufwachen im Auto das emsige Treiben der umliegenden Besoffenen. Vielleicht war das auch ein Grund, warum wir noch lange im Auto rumlungerten, uns unserer Grenzdebilität hingaben und Snapchat-Filter getestet haben. So ein Festival geht eben auch am geistigen Zustand nicht spurlos vorbei.
Kurzerhand das Zelt abgebaut und sämtliches nicht gegessene Essen zurück ins Auto gestopft und weiter ging es ein wenig verspätet mit dem letzten Tag bei Rock am Ring 2017.
Mit letzter Kraft | Die Bands von Rock am Ring 2017, Tag 3
Ursprünglich wollten wir noch Frank Carter & The Rattlesnakes sehen, aber unsere geschundenen Körper konnten das Gepäck einfach nicht schneller bewegen. Der letzte Tag beginnt für uns daher mit Henning Wehland und einem gemütlichen Plätzchen auf dem Asphalt, damit der Po vom nassen Rasen keinen Schnupfen bekommt.
Henning Wehland war ein Überraschungskandidat für mich – und nicht der letzte an diesem Tag. Zwar nichts, das ich mir tatsächlich auf Platte anhören könnte, aber mit den ruhigeren Tönen genau die richtige Untermalung, völlig fertig in irgendeiner Ecke auf dem Festivalgelände zu liegen.
Das Gegenprogramm folgt mit einem völligen Abriss durch Feine Sahne Fischfilet. Aus allen Ecken immer wieder gelobt, weiß ich jetzt, worin diese Faszination liegt. Die Band aus Mecklenburg-Vorpommern eckt auf voller Linie an. Die Musik ist vollgepackt mit Wut und klarer Haltung gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie. Sie sind die audiovisuelle Personifikation des Antifaschismus. Sänger Monchi ist dabei so beeindruckend wie laut, bezieht klar Stellung – völlig egal, ob die Stimme vom Vortag noch völlig im Eimer ist. Es geht bei diesem Auftritt nicht um musikalische Perfektion, sondern um die Message. Alles irrelevant, solange sie ankommt. Per Banana-Boot über die Menschenmenge oder ohne T-Shirt mittendurch. Den Sechs kann man vieles vorwerfen, aber definitiv nicht mangelnde Leidenschaft.
…und los geht das Stage-Hopping. Nach Feine Sahne Fischfilet auf der Crater Stage schnell rübergehuscht zu Airbourne. Genau passend als Sänger Joel O’Keeffe gerade das Gerüst bis unter die Bühnendecke kletterte. Natürlich alles ungesichert und mit der Gitarre im Gepäck, damit er in schwindelerregender Höhe auch sein Gitarrensolo vom Stapel lassen konnte! Durchaus beeindruckend, diese Hard Rocker.
Zurück an der Crater Stage wird Marteria noch ins Programm gequetscht. Wie auch am Vortag an der Volcano Stage wird auch hier das Programm heute zusammengestaucht und verschoben, damit Marteria das abgesagte Konzert von Freitag nachholen kann. Besonders beeindruckend ist dabei, dass er keine vier Stunden später bei Rock im Park auf der Bühne stehen sollte. Das ist mal Einsatz!
Den zeigt er auch auf der Bühne von Rock am Ring. Großartige Video-Show auf der Leinwand hinter dem Wahl-Berliner: Von Katzen über Videospiele bis hin zu riesigen Lettern ist alles dabei. Ich muss ja zugeben, dass ich ihn vorher als etwas über-hyped empfunden habe, weil er auf Platte einfach nicht so ganz mein Ding ist. Tja, aber live. Da kann auch ich mich Songs wie Alien, Endboss und OMG! nicht entziehen.
Das sind solche Überraschungsmomente, weswegen ich Festivals so liebe. Der Moment, wenn der Funke frisch überspringt ist eins der besten Gefühle, die man sich als Musikliebhaber wünschen kann.
Nächste Etappe des Stage-Ping-Pongs: Alter Bridge. Die hätte ich eigentlich schon gern auf ihrer Headliner-Tour in Köln gesehen, aber ab einem gewissen Ticketpreis erspare auch ich mir das ein oder andere Konzert. Ein weites Durchkommen nach vorn ist schon jetzt nicht mehr möglich, zu viele warten bereits auf die Größen Prophets of Rage und System of a Down.
Aus der Vorfreude auf Alter Bridge selbst wird aber leider Enttäuschung. Nicht, dass die Amerikaner schlecht gespielt hatten, im Gegenteil: Myles Kennedy ist gesanglich großartig, kaum ein Unterschied zu den Studioaufnahmen! Aber die Setlist war gelinde gesagt veraltet. Der Großteil bestand aus den ersten beiden Alben, das aktuelle war gerade mal mit zwei Songs vertreten. Irgendwie wirkt das Ganze wie eine alternative Setlist, die vorne und hinten nicht stimmig ist. Schade.
Erfreulicher wird es dann aber auch nicht. Prophets of Rage sind einfach nicht unseres. Ich sehe schon die imaginären Tomaten auf uns fliegen, aber außer Krach ist da gefühlt nicht viel zu holen. Stattdessen wärmen wir uns zwischen Rückenschmerzen und schwindenden Kräften gelegentlich im Disco-Zelt auf. Die Musik war zwar nicht besser, dafür aber bekannt. Und es war trocken. Und warm. Erwähnte ich das schon?
Dafür waren System of a Down wirklich der absolute Wahnsinn. Wie faszinierend und einnehmend kann eine Band sein? Schon im Vorfeld wurde ich immer wieder darauf hingewiesen, dass ich sie mir unbedingt anschauen müsse. Und was soll ich sagen? Ihr hattet alle recht! Wie eine Wall of Sound wird den 90.000 Zuschauern ein musikalisches Brett um die Ohren gehauen. Ich wünschte, ich wäre fitter gewesen, dann hätte ich diesen krassen Auftritt viel mehr feiern können. Dennoch war das ein mehr als gelungenes Ende für die Volcano Stage 2017.
Das fulminante Ende folgt aber auf der Crater Stage. Man könnte meinen, besser geht’s nicht. Aber das tut es. Macklemore & Ryan Lewis sind für mich die Künstler, die mich am meisten überrascht haben. Es mag sein, dass ich mich gerne mal auf dem pseudo-elitären Glauben ausruhe, dass Sänger + DJ auf einem Konzert im Gegensatz zu „echten Musikern“ ja wohl herzlich unbeeindruckend sein müssen. Von diesem Irrglauben muss ich mich einfach verabschieden.
Wer viel quatschende Sänger nicht mag, sollte allerdings im ein oder anderen Moment abschalten. Dafür fühlen sich Zuschauer umso wohler, die das Plapper-Niveau von die ärzte gewöhnt sind. Zwischen politisch ernsten Reden verliert Macklemore an diesem Abend aber nie die Balance von wichtiger Message und Lebensfreude.
Publikumsbeteiligungen sind auf Festivals ja immer so eine Sache, aber als letzter Act hat Macklemore auch die letzten Reihen fest im Griff. Deswegen gehorcht ihm auch jeder als es heißt, seinen Nachbarn, ob bekannt oder unbekannt, an die Hand zu nehmen, die Hände in die Höhe zu strecken und gemeinsam zur Musik zu springen und zu tanzen. Nach dem Abbruch am Freitag und den Hasspredigten derer, die aus solchen Ereignissen ihren Vorteil ziehen möchten, war das ein weiteres Zeichen dafür, wie gut sich ein Miteinander anfühlen kann.
Jaja, pathetische Simplifikation könnte man jetzt schimpfen. Aber wieso muss es denn immer kompliziert sein? Wieso sich nicht einmal die Hand reichen und zusammen etwas bewegen? Und wenn es nur der eigene Kadaver ist.
Die Abreise & Ein Dankeschön | Rock am Ring 2017 geht zu Ende
Demütig und tief beeindruckt von Macklemore und den ganzen letzten Tagen verlassen wir zum letzten Mal das Festivalgelände von Rock am Ring 2017. Am Arsch der Welt, auch D9 genannt, ist verkehrstechnisch nicht viel los, sodass wir recht flott Abstand zwischen uns und dem Festival bringen. Daher ist es umso ärgerlicher, dass die Polizei die direkte Auffahrt zu den Autobahnen kurz vor uns sperrt und uns in eine Umleitung schickt, für die mein kleines Cabrio einfach nicht gemacht ist. Klettern. Aber auch diese Hürde haben wir gemeistert. Montagmorgen um 5 Uhr, es ist schon wieder hell, falle ich in mein eigenes Bett. Stinkend, aber zufrieden.
Und an dieser Stelle muss ich mich einfach noch bedanken…
…bei dem netten Bio-Flammkuchen-Typen, mit Hilfe dessen wir am Sonntag der Mangelernährung zumindest etwas entgegensteuern konnten.
…bei dem Photobomb-Typen von Tag 1, weil das einfach zum Festival dazu gehört.
…bei unseren Campingnachbarn, die es geschafft haben, weder in unseren Vorgarten zu kotzen noch ins Zelt zu fallen.
…bei der MD-Truppe von Samstag, die uns einen sehr, sehr feuchtfröhlichen und lustigen Abend beschert hat.
…und bei Kati, weil sie das genaue Gegenteil von mir ist und mich dadurch mehr fordert als mir manchmal lieb ist. Und weil sie die beste Begleitung für Rock am Ring 2017 war, die ich mir hätte wünschen können!
Zum Bericht zu Tag 1 von Rock am Ring 2017.
Zum Bericht zu Tag 2 von Rock am Ring 2017.