Es gibt sie diese Bands, über denen ein Album wie ein Damoklesschwert hängt. Nachdem Silverstein 2005 mit Discovering the Waterfont das Genre Emo beendet hatten, musste sich jedes Album mit diesem Meilenstein messen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich immer ein Fan des Vorgängers When Broken is Easily Fixed war. Alleine schon weil sie um einiges roher und wilder war als der ikonische Nachfolger. Aber den allermeisten Alben wurde mit dem Vergleich furchtbares Unrecht getan. Insbesondere fällt mir da das Konzeptalbum A Shipwreck in the Sand von 2009 ein. Aber reden wir über den mittlerweile achten Longplayer Dead Reflection. Bevor wir das können müssen wir erstmal über etwas anderes reden, damit wir alle auf dem gleichen Stand sind.

Exkurs: Der Dropkick
Ein Dropkick ist ein nervender, sehr, sehr tiefer Ton, der unter einer Bassdrum gelegt wird, damit der Breakdown noch viel, viel böser wird. Handelt es sich allerdings bei den Aufführenden nicht um einer sehr böse Metalcoreband, gibt diese sich unfreiwillig der Lächerlichkeit preis. Also halten wir fest: Wenn du dich fragst, ob Dropkicks etwas für dich deine Band sind, frag dich einfach: Spiele ich in einer wirklich bösen Metallcoreband. Nein? Dann lass verdammt noch mal die Finger davon!

Was kann man zu Dead Reflection sagen? Man möchte sie so gerne mögen! Aber sie ist glatt, viel zu glatt. Ein Babypopo hat dagegen die Textur von Donald Trumps hängendem Arsch (Dankt mir für das Bild später!). Die Platte hat so viele gute Ideen, aber Silverstein und die Studiobesatzung arbeitet engagiert daran, das Ergebnis unhörbar zu machen. Das gelingt leider zum größten Teil. An jeder Ecke nerven Dropkicks, alles ist zu 100% auf den Punkt, jeder Ton ist perfekt gesungen. Für mich absolut nicht das Idealbild einer Rock’n’Roll Platte.

Schon mit dem Opener Last Looks zetteln Silverstein eine amtliche Eishockeyschlägerei an, die der Hörer freilich verliert. Aber hier fängt es schon an. Der Dropkick vor dem Break-Down wirkt einfach nur lächerlich. Als würde ein Chihuahua eine Dänische Dogge anbellen. Silverstein sind nicht böse, waren es nicht und werden es nie sein. Wenn überhaupt sind sie eine Mischung aus melancholisch und wütend. Erschwerend kommt hinzu, dass Nummer 2 Retrograde am Anfang zwar ordentlich zutritt, aber die Hook nach “Fall Out Boy mit Corpsepaint” klingt.

Danach geht es steil bergab. Lost Positives enttäuscht mit der Kombination aus Brett vor die Fresse und Discobeat Refrain, an der schon ganz andere Bands gescheitert sind. Hoffnung macht Aquamarine! Es ist eingängig, es geht nach vorne, halt was für alte Silverstein Fans. Beim ersten Hören musste ich kurz an Call it Karma denken. Herzschmerz? Check! Pop-Punk Hook? Check! Gebrüll in der Bridge? Check! Punktabzüge gibt es für schrecklich kitschige Bridge nach dem Breakdown. Direkt darauf folgt eine ziemlich coole Downtimenummer die auf den Namen Mirrorbox hört und in der sich ruhige fließende Strophen mit einem von Gitarrenwänden getriebenen Refrain abwechseln. Ich würde die Nummer lieben, müsste ich nicht jedes vorher mal den Subwoofer ausmachen, um den lächerlichen Dropkick nicht zu hören. Aber nichts desto trotz einer der besten Songs auf dem Album.

Ein weiteres Highlight von Dead Reflection ist Afterglow. Der einzige Song mit dem die Herren aus Burlington, Ontario wirklich überraschen. Es klingt zwar ein bisschen „Yellowcard”, aber warum nicht! Der Song lädt zum mitwippen ein. Für Silverstein zwar ein untypischer Sound, der noch mehr Spaß machen würde, wenn die Vocals nicht so verdächtig nach Autotune klingen würden. Gleichzeitig hätte man sich das bescheuerte Echo im Outro sparen können. Cut and Run überzeugt erst durch ein Riff an dem die fünf Kanadier wahrscheinlich lange gefriemelt haben, um schließlich von einem unfassbar unpassenden Chor Böhmermännscher Ausmaße zerstört wird.

Gegen Ende wird es doch noch versöhnlich. Wake Up baut herzlich lange auf, bis Shane Todd endlich der gesamte Sicherungsschrank durchbrennt und der Rezipient eine amtliche Gitarrenwand in die Fresse kriegt. Großartig! Ich habe schon zig Reviews darüber geschrieben, dass Bands älter werden. Manche Emobands altern in Würde wie The Spill Canvas oder Thrice. Aber Silverstein gehen den Weg des … ich weiß wirklich nicht, was die sich dabei gedacht haben. Eine komplett überproduzierte Scheibe, die jeden Spaß, der aufkommt, durch Scheiße “die sich bestimmt gut anhört” zerstört. Man wird den Eindruck nicht los, dass Dead Reflection eine eierlegende Wollmilchsau sein soll, die alte Fans bei der Stange hält, während das Quintett gleichzeitig gerne auch mal etwas handfestere Töne anschlagen will. Gleichzeitig muss aber auch die Möglichkeit bestehen, dass die Geschichte am Ende im Mainstream gut ankommt. Der Vorgänger war ja immerhin in Kanada auf der 18. Sorry Freunde, das Album kommt hinten in den Plattenschrank.

Ein beeindruckendes Beispiel, dass man im Studio so viel versauen kann. Wäre das Album nicht so überproduziert, wäre die Bewertung sicherlich auf der anderen Seite des Spektrums.

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Top 3

  • Aquamarine
  • Mirror Box
  • Wake Up

Für Fans von…

  • Underoath
  • The Used
  • Hawthorne Heights

Silverstein – Dead Reflection | Die Fakten

Album: Silverstein – Dead Reflection
Genre: Emo/Post-Hardcore
Länge: 12 Sons – 42 Minuten
Release: 14.07.2017
Label: Rise Records

Who the fuck are… | Silverstein

Die kanadischen Emo-Urgesteine um Sänger Shane Todd gründeten sich 2000 und veröffentlichten 2003 ihr Debütalbum When Broken is Easily Fixed. 2005 folgte Discovering the Waterfront mit dem sich Silverstein in die Hall of Fame für melancholische Schreimusik spielten. Danach folgten 7 weitere Studioalben unter anderem das 2009 erschienene Konzeptalbum A Shipwreck in the Sand. Besonders prägend für den Sound des Quintetts ist, dass sie eingängigere Elemente mit bösem Geschrei auf natürliche Weise vereinen können.

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Review overview

Gesamt:4

Summary

4Ein beeindruckendes Beispiel, dass man im Studio so viel versauen kann. Wäre das Album nicht so überproduziert, wäre die Bewertung sicherlich auf der anderen Seite des Spektrums.