Denk ich an Deutschland in der Nacht,
            dann bin ich um den Schlaf gebracht.“

Diese zum geflügelten Wort gewordenen Zeilen von Heinrich Heine aus meiner wundervollen Wahlheimat Düsseldorf beschreiben die aktuelle Lage recht treffend. Doch all der Weltschmerz, mit dem man sich in diesen turbulenten Zeiten plagt, hat ein Gutes: Er bringt fantastischen Punkrock hervor. Wo Anti-Flag, Radio Havanna und Talco schon vorgelegt haben, ziehen jetzt auch Adam Angst nach.

Neintology startet nach einem kurzen Intro mit einer selbstironischen und -referentiellen Positionierung der Band in der wichtigsten Frage, die einen im Punk(rock) umzutreiben hat: Was ist eigentlich Punk? Ist das Punk? Ist das schon Kommerz? Befreit von allen Sittenwächtern der Szene muss man nach diesem brettharten, vor Ironie triefenden Einstieg in das Album sagen: Eindeutig – das ist Punk. Musikalisch ohnehin – und der Text könnte kaum mehr Punk sein. Die eingebaute Wohnungsannonce ist das Beste, seitdem ein großer Blonder Gitarrist aus Berlin in seinen Texten einen Komodowaran unterbringen konnte. Dieser Einstieg verspricht viel!

Auf Neintology verarbeiten Adam Angst alles, was einen 2018 umtreibt. In Alexa, das von einem gewaltigen Monster von einem Riffungetüm beherrscht wird, betrachtet die Band tatsächlich das kleine Helferlein eines Online-Versandhändlers aus – sagen wir – leicht dystopischer Perspektive (der Imperativ zu „Geben“ heißt aber „Gib“, bittedankeschön). In Blase aus Beton wird mit selbstgezimmerten Filterblasen abgerechnet. Alle sprechen Deutsch hat musikalisch einen leichten, sehr passenden und hervorragend gelungenen Polka-Einschlag und Chöre, die mir als Fan der die ärzte das Herz aufgehen lassen, und nimmt sich das Neokolonialismus gewordene Urlaubsverhalten der Deutschen vor.

Bei alldem halten Adam Angst ein sagenhaftes und überraschend rifflastiges Niveau. Musikalisch ist jeder Song zwingend und pointiert und kommt völlig ohne Längen aus: Wenn nach zweieinhalb Minuten alles gesagt ist, darf ein Song auch enden, und das haben Adam Angst beherzigt. Jedem Instrument wird Raum zur Entfaltung eingeräumt, und über allem thront Sänger Felix Schönfuss, der jedem Titel, mal wütend, mal erschreckend nah am Gesang gewordenen Wahnsinn die passende Atmosphäre aufdrückt.

Apropos Wahnsinn: Es heißt, Alben brauchen Widerhaken. Kriegsgebiet hat davon mehr als ein gesamter Bienenstock. Das liegt zum Einen an der Musik, die überraschend brachial daherkommt, zum Anderen am Gesang und vor allem an den großartigen Samples, die nur ein wenig verstörend sind.

Viele Alben kranken daran, dass sie stark beginnen – man will ja den Probehörer überzeugen! –, nach hinten jedoch rapide nachlassen. Nicht so Neintology. Immer noch erzählt die großartige Geschichte, wie man in Haan bei Wuppertal wohl auf ein gelandetes Ufo reagieren würde und persifliert Kleinbürgertum und aktuell sichtbar gewordener Angst vor Fremdem (was könnte fremder sein als Aliens? Eben). Mit Alphatier positionieren sich Adam Angst eindrucksvoll und musikalisch überragend für alle, die nicht in das klassische Männlein/Weiblein-Schema passen und gegen diejenigen, die an diesem beschränkten Weltbild kleben – ohne dass ihnen das für mich nachvollziehbar irgendetwas brächte.

Alles überragendes Albumhighlight ist für mich jedoch Physik. Die Atmosphäre, die Adam Angst hier aufbauen, ist bedrückend und bedrohlich zugleich. Eindeutige Message: Wer seinen faschistoiden Durchfall ins Internet kotzt, braucht sich nicht darüber wundern, wenn ihn die Geister, die er rief, letztlich selbst zum Flüchtling machen. Die kleine Wurst, die die zentrale und unfassbar gelungene (Scheiß-)Metapher von Physik beherrscht, hat in meinem Kopf übrigens das Gesicht eines Thüringer Landtagsabgeordneten, über dessen Vornamen nachhaltige Verwirrung herrscht.

Diese Review ist länger geworden, als sie sollte, also fasse ich mich wenigstens am Schluss kurz: Fantastisches Album. Musikalisch auf den Punkt. Texte famos. Ich wünsche mir trotzdem schlechtere Zeiten für den Punk…

Review overview

Gesamt:9

Summary

9