Nachdem Billy Talent 2007 ihre Live DVD in der Mitsubishi-Electric-Halle in Düsseldorf aufgenommen hatten, kamen sie fast 10 Jahre später am 03.12. zurück. Im Gepäck runde 20 Songs, viel Dankbarkeit und zwei Vorbands.

The Dirty Nil oder: Von aufgeblasenen Egos und Kaugummis

Ein kleiner Spoiler vorne weg: Es blieb den ganzen Abend kanadisch.
Unter dem Namen The Dirty Nil, vermutlich aus ihrer Heimat Ontario zurecht vertrieben, betrat pünktlich um 20:00 Uhr eine wandelnde Kaugummi-Blase die Bühne, dessen Ego größer ist als der Fluss nach dem sich die Band benannt hat. Drummer und Bassist gesellten sich auch dazu, blieben aber weitestgehend im Schatten ihres Gitarristen – oder seines Kaugummis.

Als Rock’n’Roll bezeichnen sie sich selbst, aber „You can be pissed off if you want to“ in Dauerschleife klingt musikalisch nur nach amerikanischem Teenie-Pop-Rock in einer Form, die nicht einmal Busted mit ihrem nie vergessenen Welthit That’s What I Go To School For erreicht haben. Das ganze Konzept der Band wirkt platt, unkreativ und ohne musikalische Finesse.

Davon konnte weder die Kaugummi-Akrobatik des Sängers ablenken, noch die Tanzeinlagen des Bassisten, dessen Headbang-Attitüden mich fragend zurücklassen, ob er nicht zufällig andere Musik auf den Ohren hatte als wir anderen. Metalcore oder Ähnliches. Anders kann ich mir dieses Zucken zum Highschool-Rock nicht erklären.

Wenn der kleine Möchtegern-Rocker also auf der Bühne Blubber-Bläschen schlägt und „I don’t care about your boyfriend“ singt, fällt mir nur eins ein: I don’t care about your music.

Next!

Monster Truck mit nettem Hard Rock

Monster Truck machten optisch eher den Eindruck von Monster Truckern – viele Haare und Oberbekleidung wird zumindest vom Gitarristen für überbewertet empfunden. Das nennt sich dann wohl Kunst oder Lebenseinstellung, ich bin mir nicht sicher.

Musikalisch waren Monster Truck Urlaub für die zuvor geschundenen Ohren. Mit feinstem Hard Rock aus Hamilton, Kanada, waren die Jungs von mir gern gehört. Ohne überdosiertes Gitarrengefrickel, sondern mit durchweg soliden Riffs, machte es einfach Spaß zu zuhören.

Bis auf eine Ausnahme. Balladen gehören selbstverständlich zum gesunden Repertoire einer Hard Rock Band. Auch Konzerten tut eine kurze Verschnaufpause immer gut. Eine kurze wohlgemerkt.
Wer auf ein Billy Talent Konzert geht, hat einfach selten Lust und Muße sich eine never-ending-Ballade reinzuziehen. Sorry, Monster Truck, aber irgendwann wurde aus dem Kuschel-Rock nur noch eine Geduldsprobe.

Monster Truck ist vermutlich keine Band, von der ich in 10 Jahren noch erzählen werde, aber ich hatte bis auf das Elend zwischendurch nette 45 Minuten.

Wem der Song gefällt, wird live nicht enttäuscht. Klingt halt wie auf Platte!

Billy Talent | In. Your. Face.

Wieso sollte man großartig Zeit mit Intros und gemächliche Konzerteinstiege vergeuden, wenn man auch einfach mit Devil In A Midnight Mass direkt voll in your face einsteigen kann?! Kein Eingrooven bis man zu den Krachern gelangt, sondern gleich mitten rein.

Das Publikum ist von Sekunde eins an nur noch eine wabernde, wilde Masse. Wo sich anderswo Moshpits klar vom Rest des Publikums trennen, ist zumindest die erste Welle ein dynamisches Himmelfahrtskommando, das mal zu einem riesigen und mal zu vielen kleinen Pits verschwimmt. Zartbesaitete Zuschauer fanden nur an den äußersten Rändern ein ruhigeres Plätzchen.

Genau dort hatte man aber kurz die Zeit, das Bühnenbild zu genießen. Bis auf eine kleine Spielerei von zwei Rampen, die Ian D’Sa an der Gitarre und Jonathan Gallant am Bass gerade mal für einen Song nutzten, gab es nicht viel zu bestaunen. Aber wer braucht bei Billy Talent schon eine aufwendige Show?

Niemand. Denn die Jungs können live einfach überzeugen und das ist alles, was es an diesem Abend braucht.

Billy Talent | Sie können es immer noch

Ian ist eben dieser eine Typ innerhalb einer Band, der eigentlich völlig überqualifiziert ist, aber der Band den musikalischen Feinschliff verpasst, den man dann live ordentlich um die Ohren gehauen bekommt.
Jonathan hingegen bleibt zum Glück nicht so blass wie manch andere Bassisten, sondern bekommt genau wie auf Platte ordentlich Raum. Mal ehrlich, wer starrt nicht auf seine Finger, wenn man bei Devil On My Shoulder auf den Startschuss zur Wall Of Death wartet?

Sänger und Frontmann Benjamin Kowalewicz war in Höchstform und hatte damit das Publikum fest im Griff. Etwas weniger Bewegung während des Gesangs tat seiner gesanglichen Leistung durchaus gut. Denn wer sich das Livealbum 666 aus dem Jahr 2007 reinzieht, aufgenommen an gleicher Stelle, kriegt schon ein bisschen das Grausen und überlegt es sich vermutlich doppelt, ob ein Billy Talent Konzert eine lohnenswerte Investition ist. Das ist es aber definitiv!

Denn obwohl die Meinungen stark auseinander gehen, was die Entwicklung der Band ab Billy Talent III angeht, so bebt die Halle bei jedem Song. Live macht es plötzlich keinen Unterschied mehr, ob This Is How It Goes dir deine Sinne vernebelt; Du bei Red Flag deiner Teenager-Rebellion nacheiferst; White Sparrows Erinnerungen wachrüttelt; Du dir eingestehst, dass Viking Death March eigentlich doch ziemlich geil ist oder Du mit Louder Than The DJ einen Radiohit abfeierst, für den dich dein Teenager-Ich gehasst hätte. Es ist vollkommen egal, denn in dieser Live-Produktion ballern Songs der Dead Silence genauso wie alle anderen – ich hätte es nicht für möglich gehalten!
Die gesamte Setlist findest Du auf setlist.fm.

Billy Talent | Engagement und klare Statements

Bei der aktuellen Afraid Of Heights Tour tut man übrigens nicht nur seinen Ohren etwas Gutes! Mit dem Ticketkauf unterstützt man nämlich den Kampf gegen Multiple Sklerose.

Statt des vierten Gründungsmitglieds Aaron Solowoniuk sitzt seit den Studioaufnahmen zu Afraid Of Heights Jordan Hastings von Alexisonfire an den Drums. Aaron leidet seit 1998 unter Multiple Sklerose und kann wegen eines Rückfalls derzeit nicht selbst die Trommeln verkloppen. Dass der Kampf gegen MS also eine Herzensangelegenheit der Band ist, wundert also nicht. Daher gehen von jedem verkauften Ticket 1$ an Aarons Projekt F.U.MS Fuck U Multiple Sclerosis – Turning Anger Into Hope, die durch Veranstaltungen nicht nur auf MS aufmerksam machen, sondern auch Spenden sammeln.

Als wäre das nicht Engagement genug, plädiert Ben immer wieder für mehr Toleranz und weniger Ignoranz. Besonders in Zeiten wie diesen sei es umso wichtiger, dass man zusammenhält statt jemanden wegen seiner Religion, Sexualität, Hautfarbe oder sonst etwas verurteilt.

Billy Talent | Afraid Of Heights Tour | Düsseldorf | kurz und knapp

Für Fans der Band war dieses Konzert ein Fest! Mit einer ausgewogenen Mischung aus neuen und alten Songs, haben Billy Talent mir endlich wieder gezeigt, dass sie mit der aktuellen Scheibe Afraid Of Heights nicht nur ihre Daseinsberechtigung in meiner Musiksammlung wieder gewonnen haben, sondern auch live immer und immer wieder einen Besuch wert sind.

Kennst Du Billy Talent? Wenn ja, was hälst Du von ihnen und hast Du sie schon mal live gesehen?