Das Feuilleton frohlockt, die Brillengläser des Hipsters würden beschlagen, befänden sich denn welche in seinem 80er-Jahre-Kassenmodell, die Metalgemeinde wird gespalten durch einen Graben, tief wie der Marianengraben – was das wohl heißen kann? Ach, natürlich: Deafheaven hieven ihr neues Album Ordinary Corrupt Human Love in die Regale!
Die US-Amerikaner spielen Blackgaze – ein Genre, das man kaum beschreiben, sondern mehr erleben muss. Die Songs sind breit angelegt, mit starken Post-Rock-Einflüssen, und das „Black“ im Namen rührt vom Black Metal, der mal mehr, mal weniger den Sound dominiert. Mit ihrem 2013er-Output Sunbather (mit einem der großartigsten Cover überhaupt!) schafften es Deafheaven, diesen Genrebastard zumindest medial in den Mainstream zu wuchten und wurden schlagartig zu Lieblingen des Feuilleton. Trotz – oder wegen? – der doch klar hörbaren Black-Metal-Einflüsse. Können Deafheaven mit Ordinary Corrupt Human Love hieran anknüpfen?
Das Album beginnt verträumt mit You Without End. Mit einem Spoken-Word-Part, mit Piano-Untermalung, und mit nicht einem Hauch von Black-Metal. Die Leadgitarre setzt ein, und dann ertönt das dazu völlig konträre, widerwärtige Gekeife von Sänger George Clarke. Deafheaven bleiben sich also treu! Der Song klingt zart, zerbrechlich, streckenweise beinahe poppig, und die wütenden Vocals bilden hierzu einen starken, wirkungsvollen Kontrast. Aber die Sorge macht sich breit – wo bleibt denn mein Metall?
Doch das anschließende elfminütige Honeycomb wagt einen Schritt weiter in Richtung Black Metal. Die instrumentale Basis ist klarer als im Opener dem Metal verhaftet, darüber schwebt die atmosphärische Leadgitarre und zieht den Hörer in ihren Bann, und – endlich! – setzen auch Blastbeats ein. Honeycomb zeigt Deafheaven in Bestform: Die Wechsel aus Black Metal, fast proggigen Parts und Pop (? – !) bilden eine fantastische Symbiose und münden in einen ruhigen, ausladenden Instrumentalpart, der mit minimalistischen Mitteln arbeitet, aber dennoch mitzureißen weiß. Was für ein Song!
Diese Mischung zieht sich durch das gesamte Album und bestätigt die Form der Band. Deafheaven lösen sich dabei von allen Genregrenzen. Während der (Black-)Metal immer zumindest als Ahnung im Hintergrund und zumindest in den Vocals lauert, um sich hier und da mal wirkungsvoll Bahn zu brechen, scheut sich die Band nicht, auch Pop in ihren Sound einfließen zu lassen. Das Ergebnis ist ein musikalisch intensives und jederzeit mitreißendes Erlebnis, das seine Wirkung gerade aus den Kontrasten zwischen verträumter Instrumentalarbeit und dem wütenden Gekeife und den gelegentlichen Ausbrüchen zieht. Und selbst Night People, das mit seinen vier Minuten eher ein Interludium ist, trägt mit elektronischen Einflüssen und im Duett vorgetragenen Klargesang gut zur Atmosphäre des Albums bei.
Mit Ordinary Corrupt Human Love bleiben Deafheaven ihrer Linie treu. Wer mit Sunbather oder New Bermuda nichts anfangen konnte, den wird auch dieses Album nicht bekehren können. Wer ohnehin schon Fan ist, wird dieses Album lieben. Wer seine Scheuklappen schon längst abgelegt hat, sich nicht durch die Vocals abschrecken lässt und bereit ist, sich intensiv mit diesem Album auseinanderzusetzen, es auf sich wirken zu lassen, der hat die Chance, Gast auf einer einmaligen musikalischen Reise zu sein.
Mit Sicherheit ein Album, das wachsen wird. Vielleicht Deafheavens Magnum Opus.
Review overview
Summary
9