Eine kürzlich veröffentlichte Studie besagt, dass man 10 Jahre länger lebe, wenn man alle 14 Tage auf ein Konzert gehe.
„Nichts leichter als das“, denkt sich jetzt der/die gemeine Leser*in dieses Blogs, die später auch noch zu Wort kommen. Doch dann kam die Festivaldurststrecke.

Hallo, mein Name ist Miriam und ich war seit 4,5 Monaten auf keinem Konzert.

Ich wurde langsam, aber sicher unausstehlich und unerträglich, kurz: Ich habe mich selbst genervt. Aber was ist das jetzt, was Konzert-Menschen wie mich an Entzugserscheinung bei ausbleibenden Live-Erlebnissen leiden lässt? Ein Erklärungsversuch.

Am 5. Mai bei Tequila and the Sunrise Gang in Köln war ich mir sicher, dass ich im Sommer zumindest noch ein paar Festivals in petto hätte, die mich durch den Sommer tragen würden. Am Ende blieb nur noch das Green Juice, Mitte August, in Bonn – ein Festival, mit dem ich nicht warm werde. Statt also die Erlösung zu bringen, fühlte es sich an, als halte man einem trockenen Alkoholiker ein Bierchen unter die Nase. Gelüste waren da, blieben aber aufs Schmerzhafteste unbefriedigt.

Die letzten Monate waren stressig, anstrengend, frustrierend und gesäumt von all dem Erwachsenenkram, der einem von Schule und Elternhaus fein säuberlich verschwiegen wird bis man mittendrin steckt. Vermutlich wird dieses es-ist-gerade-alles-so-viel-Gefühl nie wieder vergehen. Arbeit, Kunden, Uni, Ausbildung, Freunde, Familie – alles buhlt um Aufmerksamkeit, aber dabei darf man sich selbst nicht vergessen und plötzlich stresst man sich auch noch selbst mit dem Versuch von Achtsamkeit und Selbstfürsorge.

Selbst wenn das Leben einem gerade eine Pause gönnt, fällt – zumindest mir – das Abschalten, Runterfahren und Durchatmen im Alltag und der gewohnten Umgebung unglaublich schwer. Tapetenwechsel ist angesagt und der funktioniert am besten mit einem Ich-kann-den-Kopf-ausmachen-Live-Musik-Erlebnis.

Warum atmen?

…die mit Abstand beste Antwort, die ich bei Instagram auf die Frage bekommen habe, warum ihr denn so auf Konzerte geht.

Den meisten geht es vermutlich wie mir: Musik ist ein Grundbedürfnis. Wie Essen. Da variiert man ja auch gern: Mal geht man essen, mal gibt es Dosenfutter oder ein aufwändig gekochtes Menü für die Liebsten.

Konzerte machen Musik zu einem einmaligen Erlebnis.

„Der Hauptgrund ist einfach die Musik. Aber es ist nicht nur die Musik, es ist das Ganze.“
„Weil das Feeling, das man bei einem Liveauftritt hat immer einmalig und immer neu ist.“
Von Bekannten werde ich oft gefragt, wieso ich mehrere Konzerte einer Tour mitnehme: „Das ist doch immer das Gleiche.“ Eure Kommentare zeigen, dass es genau das nicht ist.

Nach dieser Logik müsste man ja auch nach einmaligem Hören eines Albums zufrieden sein. Oder nach dem ersten Gucken des Lieblingsfilms. Konzerte sind aber mehr als die 1:1-Wiedergabe der Songs aus der Dose. Da sind Künstler*innen-Zuschauer-Interaktionen, spontane Songänderungen, Ansagen, die Location, der Ausdruck der Menschen vor und auf der Bühne. Und das ist nur ein Ausschnitt der Variablen, die das heutige vom morgigen Konzert unterscheiden.

Alles andere als Alltag

Mein Alltag besteht meistens daraus, dass ich alleine mit meinen Haustieren im Home Office sitze. An dieser Stelle gestehe ich dir gern den Gedanken der Crazy Cat Lady zu, denn davon bin ich nicht weit entfernt. Aber das ist total cool für mich. Als introvertierter und schüchterner (dazu später mehr) Mensch, dem generell Menschenmassen zuwider (ja, reden wir auch später drüber) sind, kommt mir das zugute.

Auf Konzerte zu gehen, ist also das krasse Gegenteil von meiner alltäglichen Umgebung und den Situationen, in die ich mich normalerweise freiwillig begebe. Warum das so ist, ist leicht erklärt:

Es ist eine andere Welt mit anderen Regeln.

Euch geht es offensichtlich ähnlich:
„Alltag vergessen“

Ein bisschen verblümt formuliert, aber dennoch eine Aussage, mit der ich vollkommen übereinstimme: Das „Heile-Welt-Feeling“.

Konzerte sind die Magneten, die mich regelmäßig aus meinem Alltag zerren – ob ich will oder nicht. Wie oft entscheide ich mich: Jetzt machst Du mal richtig Pause und gönnst dir eine Auszeit. Aber egal, was ich dann mache, es schaltet meinen Kopf nicht aus. Absolut gar nicht. Bei manchen Alternativen muss ich dann auch noch Menschen begegnen, die mich auf andere Weise stressen.

Die Socially Awkwardness lässt grüßen!

Gemeinsam allein sein

Konzerte sind da easy. Je nachdem wie viel ich reden möchte, gehe ich früher oder später hin und während des Konzerts ist jeder so in seinem eigenen Film, sodass Konversationen abgesehen von dem Problem der Lautstärke nicht eingefordert werden.

Oben habe ich schon das Problem mit Menschenmassen angesprochen. Klar, widerspricht das ausverkauften Clubkonzerten wie die rettende Erlösung nach 4,5 Monaten bei Tequila and the Sunrise Gang in meiner Heimatstadt oder danach das ausverkaufte Stadion-Konzert der Toten Hosen. Für mich gibt es aber zwei Szenarien; die eine ist absolut okay, die andere führt ungelöst zu einer Panikattacke.

Szenario 1: Der Club ist ausverkauft, bei Konzertbeginn ist alles eine wabernde Masse und ich bin Teil davon. Alles ist gut.
Szenario 2: Aus unterschiedlichen Gründen gibt es genug Luft und Raum, um einen respektvollen Abstand zueinander wahren zu können. Leider gibt es Menschen, die können oder wollen trotz ausreichend Platz mir diesen Raum nicht lassen, bzw. rücken immer weiter nach, berühren mich, obwohl es nicht notwendig wäre, sobald ich mich versuche in meinen Rest-Raum zu flüchten. Das sind eben diese Situationen, denen ich mich – wie auch immer – entziehen muss. Versuche ich das auszuhalten, weil „es ja nicht so schlimm ist“, dann heißt es: „Hallo Panikattacke!“ und das Konzert ist gelaufen, weil ich hyperventilierend im Foyer stehe und versuche Poster auswendig zu lernen. Passiert bei Helloween in Bochum. War ungeil, aber ich habe draus gelernt.

„Nette Leute kennen lernen“ war ebenfalls eine Nachricht, die mich zum Thema erreichte. Tatsächlich ist es so, dass ich genau diese Person auch über Konzerte kennen gelernt habe. Auf Musikveranstaltungen ist es sogar für mich nicht allzu schwer, ins Reden zu kommen – zumindest wenn mich mein Gegenüber anspricht.

Solltet ihr mich mal auf Konzerten antreffen, quatscht mich gerne an. Ich freue mich tatsächlich drüber. Seht es mir aber nach, wenn ich einen Moment brauche.
Wenn ich also zum Beispiel in einem Fotografen-Pulk stehe und mich nicht rühre, hat das sicherlich nichts mit Arroganz zu tun – was einem bei diesem Verhalten gern unterstellt wird – sondern weil ich das Networken in diesem Bereich einfach 0 drauf habe. Fragt ihr mich allerdings nach Tipps zu eurem Insta-Feed, was Teil meines Lohn-und-Brot-Jobs ist, quatsche ich dir ein Schnitzel ins Gesicht. So kann’s gehen.

Was das Ganze mit Konzerten zu tun hat? Nach einem Konzert fällt mir das alles nicht mehr schwer. Ich kann auf Leute zugehen, die ich sehr wohl vorher gesehen habe, aber nicht ansprechen wollte. Schnacken mit der Band, lachen mit anderen Konzertbesucher*innen ist alles viel easier.
Und wer mir jetzt Alkohol unterstellt, hat noch nie ein wirklich berauschendes Konzert erlebt.

Man könnte also sagen: Nach einem Konzert bin ich…

…die beste Version von mir selbst

So geht es zumindest mir.

Während der letzten Zeilen ist meine und die Sicht vieler, die mir auf Instagram folgen, vermutlich deutlich geworden. Aber es gibt natürlich auch andere Blickwinkel, die ich sehr spannend finde:

„Für mich keine Konzerte, weil ich Musik nach Stimmung höre und die leider schlecht zu planen ist.“

Kann ich absolut nachvollziehen!
Dieses Phänomen taucht bei mir aber nur bei vereinzelten Bands auf. Love A ist da ein Paradebeispiel. Diese Band ist für mich der absolute Brainfuck und ich liebe sie dafür, aber ich kann es mir nicht immer anhören – auch nicht live.

Jetzt möchte ich aber von euch wissen:
Könnt ihr mit den oben genannten Punkten etwas anfangen? Wie oft „braucht“ ihr Konzerte und warum? Schreibt es mir gern unten in die Kommentare!