Mit einem Heimspiel starten Tales of Aunt and Uncles atmosphärisch den Abend im Kölner Blue Shell. Sängerin Franziska fehlt zwar, aber ihr Gesangskollege Stephan wuppt die Vocals auch alleine – wenn auch mit sichtlicher Aufregung. Die ist gar nicht nötig. Denn ich – sei es mir als Düsseldorferin verziehen – kannte die Band vorher nicht und mir wäre nicht aufgefallen, dass in der Vierer-Konstellation so etwas Essenzielles fehlt, wie eine Sängerin/Keyboarderin.
Atmosphärisch-folkig, z.T. fast experimentell spielten die Kölner eher mit Klangwahrnehmung als mit Text – zumindest sind es die Instrumental-Einlagen (dazu zähle ich auch Vocal-Parts aus ahhhs und ehhhs), die mir klar im Gedächtnis geblieben sind. Für mich persönlich kein Sound, den ich mir auf Platte kaufen würde, wer aber nur den Hauch für Folk-Pop übrig hat, der auch mal mit dominanteren Gitarren aufwartet, sollte bei Tales of Aunt and Uncles dringend mal reinhören!
Diese seichten Töne wurden abgelöst vom In-Your-Face-Post-Punk mit ein bisschen Indie von Kann Karate. „Irgendwas zwischen Postpunk und Indierock. Zwischen Turbostaat und Vierkanttretlager“, steht es auf ihrer Homepage und das trifft es wie den berühmten Arsch auf Eimer. Wer da still stehen bleibt, sollte lieber nie wieder einen Konzertsaal betreten. Eric an den Vocals ist ein Emotionskessel, der überbrodelt, sobald man ihm ein Mikro in die Hand drückt.
Er okkupiert auch den Raum vor der Bühne, weil sich das Publikum bisher nicht so weit vorgetraut hat. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg halt zum Propheten. Die Rechnung geht auf. Am Ende landet er in dem kleinen Moshpit und versetzt den kleinen Club endlich ordentlich in Bewegung. Die Berliner haben auf dieser winzigen Bühne so verdammt viel Spaß am Spiel, dass sie damit ganze Hallen füllen könnten. Ich freu mich auf ein Wiedersehen!
Gut eingeheizt besteigen Hi! Spencer das Herzstück vom Blue Shell. Eben habe ich noch diejenigen beschimpft, die reglos auf Konzerten stehen und bei den Osnabrückern gehöre ich plötzlich genau zu denjenigen – aus Angst, etwas zu verpassen. Weil ich alles hören will, was diese 5 Geschichtenerzähler da vortragen. Ganz vorne dabei ist natürlich Sven, der mit dieser rauen Stimme dir einfach die Haare vom Kopf pustet. Aber auch Malte, der das elendige Sprichwort „klein, aber oho“ für sich gepachtet und musikalisch eben eher die Energie einer Atombombe hat. Dabei aber auch genau weiß, wann es aber besser ist, sich in ein Gänseblümchen zu verwandeln. Das ist auch die Stärke der ganzen Band. Die Songs leben auf Platte vom Zerren an lauten und leisen Tönen, kraftvoll und sanft. Schalt mich ab und Sie tanzt sind da ganz klare Favoriten, die live noch an Höhen und Tiefen gewinnen – ein Balanceakt, an dem viele Bands scheitern.
Die Set-List ist ein Träumchen von aktuellem Output wie Klippen und Richtung Norden, der Song, der mich als Halb-Emsländerin so sehr an meine jahrelange Heimat erinnert. Mit im Gepäck sind ebenfalls Songs wie Herr Schlüter und Schatten / Licht Egal welchen Track die Osnabrücker präsentieren, alles trägt diese Handvoll Ehrlichkeit. Ja, sowas eklig Pathetisches wollte ich nie schreiben, aber wenn’s doch so ist? Keine Band hat mich so an das Nordisch-sein erinnert wie diese fünf. Ein tolles Gefühl, das nur beweist, dass sie es definitiv drauf haben, Herzen, Menschen, Emotionen und Beine zu bewegen. An diesem Abend in Köln haben sie das alles geschafft!
Auch die Lachmuskeln wurden angestrengt, als Sven Judith Williams von HSE Konkurrenz macht, eine Verschnaufpause nutzt, um den Hi! Spencer Merch zu präsentieren und mehr oder weniger gekonnt in Szene zu setzen. Aus Spaß wird auch wieder Ernst, als sie ihre Aktion für Laut gegen Nazis vorstellen. Gegen eine Spende darf sich jeder auf einem Backdrop verewigen und hat damit auch die Chance, das gute Stück zu gewinnen. Die Spenden, die im kommenden Jahr dabei zusammenkommen, gehen direkt an Laut gegen Nazis! Geniale Aktion – sehr unterstützenswert!
Am Ende des Abends wird‘s mit Kopf in den Wolken persönlich: Die Hymne an das Musikmachen, an die Leidenschaft, die einen antreibt auch das zu tun, was manche für falsch oder bescheuert halten:
„Das ist keine Phase / das ist nicht Naiv / das ist auch nicht dumm / dafür geht es viel zu tief“.
Besucht Hi! Spencer unbedingt bei ihrem Heimspiel in Osnabrück am 30.11. und lasst ihnen ganz viel Liebe da!