Mein musikalisches 2017 verlief völlig anders, als ich es erwartet hatte. Nachdem sich meine Hörgewohnheiten in den letzten Jahren mehr und mehr verschoben haben, hatte ich erwartet, dass 2017 von extremen Metalstilen geprägt werden würde. Doch weit gefehlt. Geprägt wurde das Jahr von alten Helden und Neuentdeckungen, die fast, aber eben nur fast gar nichts mit Black Metal zu tun haben (Douglas Adams, anyone?).
Vorab ein paar Alben, die es nicht in diese Liste geschafft haben, aber es dennoch verdient haben, gehört zu werden: Itchy (Ex-Poopzkid) bieten auf All we know erwachsenen, tighten (Punk?)Rock. Zeal & Ardor kombinieren auf Devil is Fine Soul, Gospel und Black Metal – und das Experiment funktioniert. Heretoir können Freunde von Post Black Metal mit The Circle glücklich machen. Und wer Death Metal mag, kommt in diesem Jahr nicht an Venenums Trance of Death vorbei.
Platz 5 | Farin Urlaub – Berliner Schule
Eigentlich sollte dieses Album außer Konkurrenz laufen. Aber das hier ist meine Top 5. Und ich bin der Fanboy. Also steht es hier.
Farin Urlaub, der große Blonde der allmächtigen die ärzte (nur echt mit 52 Zähnen), hat sich in diesem Jahr entschlossen, einen lange gehegten Plan endlich einmal umzusetzen und unveröffentlichte, von Bela und Rod (und vom Racing Team) abgelehnte Demos veröffentlicht. Verbunden mit der Warnung, es handele sich um schlechte Lieder, die lausig klängen. Nur interessant für Menschen, die sich wirklich sehr für die ärzte begeistern. Nun ja, hier bin ich!
Wer sich auf Berliner Schule einlässt, kriegt 28 (+1) Demos präsentiert, bei denen sich teilweise aufdrängt, warum sie abgelehnt wurden (A.U.S.T.R.A.L.I.E.N., Was wir sind, Abzweig Leipzig), bei denen man mit dem Kopf schüttelt und sich fragt, warum zur Hölle Bela und Rod den Hit nicht erkannt haben (The Power of Blöd; und vor allem Intro! Verdammt, stellt euch das als Intro auf einem Konzert vor! Die erste Hälfte hinterm Vorhang, und dann donnert es los! Die spinnen doch! Immerhin wurde der Song recyclet), und sehr viel dazwischen; vor allem auch Songs, die irgendwie großartig sind, aber auch auf keinen Tonträger gepasst hätten (Bernd hat es gemacht, Bestimmt).
Für Fans ein Muss, für Mutige einen Versuch wert!
Platz 4 | Kreator – Gods of Violence
Wer aufgepasst hat, wird merken, dass Kreator im Halbjahresfazit noch hinter Heretoir – die es leider knapp nicht in diese Top 5 geschafft haben – rangierten. Kreator haben also mal wieder eine ihrer großen Stärken ausgespielt: Die Langstrecke. Schon mit Phantom Antichrist verhielt es sich so: Gods of Violence ist ein Album, das unheimlich wächst. Das immer dann für dich da ist, wenn du mal wütend bist. Oder genervt. Einfach mal ein wenig Dampf ablassen musst. In diesen Momenten gibt es kaum einen besseren Soundtrack als die Essener um Mille Petrozza, der dir seinen authentisch wütenden und dabei melodischen Thrash Metal entgegenkotzt. Und mit jedem dieser Tage, mit jedem Durchlauf wird das Album etwas besser.
Das klingt jetzt so, als hätte ich sehr viele schlechte Tage gehabt; im Gegenteil. Das Album funktioniert auch an guten Tagen großartig! Anspieltipp: Army of Storms!
Platz 3 | Ofermod – Sol Nox
Ein Albumfund, wie ich ihn liebe: Ich stehe in einem beliebigen Elektromarkt in der Musikabteilung, durchforste im Bereich Hard & Heavy beliebig die Alben, sichte Cover, und wenn mir etwas ins Auge fällt, höre ich mal rein. Und was dann so klingt, als hätte es Potential, hat dann die Ehre mein Portemonnaie von unnützem Papier und Metall zu befreien. Metall gegen Metall, gewissermaßen.
So lief es auch mit diesem Album – und es hat sich gezeigt: Was für ein Brett! Die Schweden von Ofermod spielen auf Sol Nox eher klassischen und heftigen Black Metal. Ofermod belassen es aber nicht bei geistlosem Geknüppel. Das Album ist düster, authentisch, beinahe melodisch. Es ist voller Wahnsinn und Dreck, dabei herausragend produziert. Es ist „trve“ und kommt ganz ohne Plastik aus. Klassischer Black Metal, wie er 2017 klingen muss! Wollen wir hoffen, dass Bandkopf Belfagor nicht wieder von einer Haftstrafe (ich spare mir den Gag mit den schwedischen Gardinen mal) vom Musikmachen abgehalten wird…
Watain können kommen!
Platz 2 | Dragonforce – Reaching Into Infinity
Im Halbjahresfazit war dieses Album noch unangefochten auf dem Spitzenplatz, und auch jetzt ist es wirklich, wirklich knapp ausgefallen. Dragonforce präsentieren uns das wohl beste Album ihrer Karriere. Sie schaffen es nicht nur, die Trademarks, die man ohnehin mit ihnen verbindet (also vor allem: wahnwitzige Geschwindigkeit, Instrumentalisten, über die man nur staunen kann und ein Gespür für großartige Melodien), bis zur Perfektion auszureizen – Nein, sie loten auf ihrem siebtem Album Grenzen aus und übertreten diese auch mit einer Selbstverständlichkeit und Klasse, die mich staunen lässt. Wer also mit (europäischem) Power-Metal auf Speed etwas anfangen kann und wen Death- oder Epic-Metal und – dank Keyboarder Vadim – ein paar elektronische Einflüsse nicht abschrecken, für den ist dieses Album ein Muss. Und ein garantierter Dauergast auf dem Plattenteller.
Platz 1 | Anti-Flag – American Fall
Anti-Flag legen mit American Fall ein Album vor, das mich völlig unvorbereitet getroffen hat und dem ich inzwischen tief verbunden und sehr dankbar bin. In einer Phase, in der ich musikalisch völlig orientierungslos war und mir nichts so richtig gefallen wollte, hat mich diese Scheibe aus meiner (musikalischen) Lethargie gerissen. Anti-Flag gelingt es, auf dem schmalen Grat – der gesäumt ist von all den Bands, die links und rechts hinunterstürzen – zwischen poppigen, sich ins Hirn fressenden Melodien und echter Wut zu balancieren. Sie widmen sich den Themen, denen sich eine Punkband im Jahr 2017 widmen kann, nein, muss: Wieder erstarkender Rassismus (Racists). Drohnenkrieg (Digital Blackout). Ein Wahnsinniger, der ein ehemaliges Weltreich retten will (Liar). Flüchtlinge (Trouble follows me). Und das eigene Selbst, das man stets zuerst hinterfragen sollte (Finish what we started).
Anti-Flag machen mit diesem Album alles richtig. Jeder der elf Songs hat Ohrwurmpotential und die Texte sind ehrlich, ehrlich wütend und vermeiden es sicher, allzu stumpf auszufallen. Ich hätte nicht gedacht, dass mich Punkrock, und dann auch noch amerikanischer Schule, noch einmal so packen könnte. Aber dieses Album will einfach nicht mehr aus der Dauerrotation!