Radio Havanna und ich – das war lange Zeit keine Freundschaft. Ein paar mal durfte ich die Band bereits live sehen, aber gezündet hat es zwischen mir und den Suhlern nie. Immer waren Radio Havanna mir etwas zu stumpf, etwas zu platt. Tiefpunkt für mich: Kaputt. „Ich fühl mich heute so kaputt, doch die Welt ist noch kaputter“? Ernsthaft?, dachte ich mir jedes Mal.

Umso überraschender für mich startet Utopia mit dem Titeltrack – nämlich mit Piano-Akkorden. In Utopia besingt die Band eine wundervolle Welt, eine Utopie, in der alles zerstört ist, „was uns zerstört“. Mit einem Text, so intelligent, wie es für eine authentische Punkrock-Band geht, ohne in den Intellektuellen-Beanie-Punkrock abzudriften, zeigt das Quartett sich auch musikalisch erstaunlich vielschichtig. Ein extrem starker Einstieg in das Album, der mich – etwas widerwillig – neugierig gemacht hat.

Aber manchmal wird die Hoffnung, etwas doch weiter blöd finden zu dürfen, einfach enttäuscht. Auf Utopia liefern Radio Havanna in einer Tour ab – und wie! Ein Highlight folgt dem nächsten: In Früher oder Späti besingt die Band einen verhinderten „König eurer gottverdammten Welt“, den leider das stets nächste Bier von seiner Mission abhält. Mit Faust Hoch positionieren sich Radio Havanna – heute leider nötig – politisch eindeutig und sagen rechtem Gesindel den Kampf um die Vorherrschaft auf den Straßen an. In Anti Alles werfen Radio Havanna einen melancholischen Blick zurück auf den rebellischen Sommer, in dem revolutionäre Pläne geschmiedet wurden.

Das alles gelingt der Band auch musikalisch hervorragend. Radio Havanna verlassen zwar die Grenzen des Punkrock nicht, sind dabei aber dennoch abwechslungsreich und bringen auch gekonnt Stadionrock-Momente unter (Mein Name ist Mensch, Hassliebe). Die Leadgitarre ist dabei durchweg zwingend, die Rhythmusfraktion macht ordentlich Dampf. Die Hooks sitzen zu allem Überfluss auch noch, und auch auf Platte weiß man schon genau, welche Momente live besonders zünden werden.

Highlight des Albums ist für mich ohne Frage Mein Name ist Mensch. Die schnelle und astreine Punkrocknummer behandelt die schier unendliche Konsumwut des Menschen auf Kosten der Ärmeren und des gesamten Planeten. Der Text ist großartig („Mein Name ist Mensch, Herrscher der Welt / die Krone der Schöpfung kauf ich mit Geld“) und auf den Punkt, die musikalische Begleitung so wütend, wie das Thema es verdient – und ich sehe schon die Massen zu diesem Song toben. Grandios!

Und die zweite Hälfte des Albums ist an Highlights alles andere als ärmer…

Erwähnt sei noch der herausragende Rausschmeißer Phönix, der den perfekten Schlusspunkt für das Album setzt. Im erneut melancholischen Mid-Tempo ruft das Quartett mit mitreißenden Chören dazu auf, es dem namensgebenden Vogel gleichzutun.

Radio Havanna gelingt mit Utopia ein durchweg starkes Album, auf dem ein Hit den nächsten jagt. Nicht einmal die (in den Achtzigern hätte man wohl gesagt: Power-)Balladen wollen mir als Verächter von musikalischer Romantik so richtig missfallen. Utopia bietet straighten und trotzdem vielschichtigen Punkrock mit den Themen, die eine Punkband anno 2018 beschäftigen, mal humorvoll, mal mit ehrlicher Wut. Die Texte sind nicht so stumpf, wie ich Radio Havanna in Erinnerung hatte – ganz im Gegenteil. Zum Glück. Und ich bin froh, mich doch noch auf Utopia eingelassen zu haben. (Auch wenn mein Vorsatz, dass 2018 wieder metallischer wird, mich vorwurfsvoll aus einer dunklen Ecke anstarrt. Ist ja gut… Ist doch erst Januar…)

Radio Havanna – Chapeau! Ihr habt mich überzeugt.

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On Tour 2018

15.11. Nürnberg // Roter Salon
16.11. Köln // Gebäude 9
17.11. Saarbrücken // Garage
22.11. Leipzig // Naumanns
23.11. Osnabrück // Bastard Club
24.11. CH-Lyss // Kufa

Review overview

Gesamt:9

Summary

9