Erfolg zu haben, ist eine schöne Sache. Erfolg kann jemanden beflügeln, um zu neuen, bis dahin unbekannten Höhen aufzusteigen. Die Anfeuerungsrufe auf einer Bühne lassen einige Menschen noch besser werden, spornen sie noch weiter an. Erfolg kann aber, vorausgesetzt, er ist zu groß, erschlagend wirken. Stellt euch vor, ihr veröffentlicht 1973 „The Dark Side Of The Moon“, ein damals bahnbrechend revolutionäres Album, das vieles bis dato dagewesenes ganz, ganz klein erscheinen lässt. Dieser Erfolg erzeugt einen Druck für das nachfolgende Album, der größer wohl kaum sein könnte.
Und genau diesem Problem sahen sich Pink Floyd 1975 ausgesetzt. Der Prozess des Songwritings stellte sich als ungleich schwerer heraus als noch beim Vorgänger von „Wish You Were Here“. Nicht unbedingt das, was im Duden unter „leichte Aufgabe“ zu finden ist. Am Ende wurde es nicht das unglaublich revolutionäre Album wie „The Dark Side Of The Moon“, oder ein so gewaltiges Werk wie „The Wall“. Doch es wurde das wohl persönlichste Album der Gruppe, und vielleicht ist es deswegen auch das Lieblingsalbum David Gilmours. Damit es aber überhaupt so unglaublich persönlich wurde, brauchte es erstmal ein mehr als tragisches Einzelschicksal – das von Syd Barrett.

Ungewollter Startschuss

Denn eigentlich beschrieben alle Bandmitglieder, dass sie kreativ ausgebrannt waren, keine Energie oder Ideen für die nächste Platte hätten. Also quälten sie sich mehr durch das Songwriting als dass sie Freude dabei hatten. Den eigentlichen Startschuss gab Syd Barrett dann wohl eher unfreiwillig: er kam seine alten Kollegen im Studio besuchen, aufgrund seines exzessiven LSD-Konsums war es aber kaum möglich, ihn wiederzuerkennen. Die abgeschnittenen Haare, die wegrasierten Augenbrauen und ein sehr ungesundes Körpergewicht ließen den damals 29 Jahre alten Barrett wie einen Mann mittleren Alters wirken, mit dem es die Zeit nicht gut meinte – was Drogen eben so mit einem anstellen.

Als Roger Waters, der ausnahmslos jeden der Tracks auf „Wish You Were Here“ geschrieben hat, ihn dann doch erkennt, ist er vollkommen verständlicherweise entsetzt. Einen so engen Freund und Wegbegleiter nicht mal mehr zu erkennen geht nicht spurlos an der Band vorbei. Und genau dieses Gefühl des Verlustes, dieses Gefühl der Entfremdung, das sind zwei der bestimmenden Themen des Albums. Als drittes kommt dann noch eine Kritik an der Ausbeutung der Künstler durch die geldgierige Industrie hinzu, und schon ist alles angerichtet für ein melancholisches, trauriges, aber ähnlich atemberaubendes Album, das sich jeder Fan guter Musik mal angehört haben sollte.

Die Storyline

Der erste Track, „Shine On You Crazy Diamond (Parts I – V)“, ist ihm auch direkt gewidmet. Der Text macht das doch sehr deutlich. Waters, der hier als Sänger auftritt, spricht zu Syd Barrett. Besonders der Vergleich zwischen „Childhood and Stardom“ beschreibt das hervorragend: Als Star stand Barrett damals alles in nahezu unbegrenzten Mengen zur Verfügung. Kinder sind schlecht darin, Selbstdisziplin auszuüben. Einen Berg Schokolade zu verdrücken ist in der Regel aber weniger schädlich als jahrelang LSD zu konsumieren. Dieser Vergleich zieht sich durch den gesamten Track und hinterlässt bitter-süße Gefühle bei mir, jedes Mal, wenn er läuft.

Weiter geht es auf dem Album mit den beiden Tracks „Welcome To The Machine“ und mit „Have A Cigar“. Hier finden Pink Floyd schnell den Schuldigen für den Niedergang ihres alten Freundes: die Musikindustrie, oder wie sie sie nennen, „The Machine“. Die Musikindustrie lockt junge Menschen mit Talent an, zeigt ihnen auf, was zu erreichen ist, verrät aber nichts über die Fallen und Gefahren dieses Erfolges. Syd Barrett konkret wird damit in die Industrie gelockt, dass er als normal aufgewachsener Mann seine Eltern mit der damals ungehorsamen Musik bestrafen wollte, und er diesen Ungehorsam nun zu Geld machen könne. Eine Zeile des Tracks, die das sehr schön widergibt, lautet wie folgt: „What did you dream? // It’s alright, we told you what to dream.“ Labels sagen den Künstlern, welche Musik sich gerade am besten verkauft, welche Klamotten angesagt sind, und mit wem Interviews geführt oder gemieden werden sollten.

Auf die Spitze allerdings treibt es eine Zeile aus „Have A Cigar“. Die Industrie lockt mit großem Geld, gibt aber nichts auf die Personen hinter der Musik, auf die Künstlerseelen. Zum Ausdruck bringen Pink Floyd das sehr simpel, aber schmerzlich offensichtlich: „The band is just fantastic, that is really what I think // Oh, by the way, which one is Pink?“ Die Person ist egal, was zählt, ist der Gewinn.

Musikalisch untermalt wird das ganze durch viele industriell anmutende Soundeffekte, und auch der Synthesizer im Outro von „Welcome To The Machine“ fühlt sich unnatürlich an. Er wirkt wie ein kalkulierter Fremdkörper. Er gehört dorthin, ist aber unangenehm. Während „Have A Cigar“ wird es etwas hektischer, der Synthesizer aber bleibt.

Und dann der namensgebende Track: ein musikalisches Meisterwerk, einer der Tracks, um die man nicht herumkommt, egal ob Fan oder nicht. Eines DER Stücke dieser Band. Das Stück Musik, das Barrett dazu bringen soll, seine Entscheidung zu überdenken: ist das wirklich der Weg, den er einschlagen will? Ist das wirklich das Leben, das er leben will? Es schwingt Verbitterung mit in diesem Lied, Unverständnis, Enttäuschung, ja, fast schon Ärger. Pink Floyd verstehen die Entscheidung nicht, und halten mit Kritik nicht hinter dem Berg: „Did you exchange // a walk-on part in a war // for a lead role in a cage?“ Anstatt Teil einer großen Sache zu sein, einer Sache, die sein und potenziell das Leben Tausender Menschen hätte verändern können, entschied sich Syd Barrett ganz egoistisch dazu, die Hauptrolle in seinem kleinen, letztlich unbedeutenden Zirkusstück zu spielen. Es gibt weitere Vergleiche, die dieselbe Wirkung erzielen, überall im Text, vor allem vor dem ersten von zwei Soli.

Um dann das Thema der Entfremdung erneut aufzugreifen, abzuschließen, und die Geschichte rund zu erzählen: „Shine On You Crazy Diamond (Parts VI – IX)“. Ein kleiner Einblick in die ersten beiden Zeilen des Textes verraten direkt, wie unwissend sich die aktuelle Besetzung der Band gefühlt haben muss: Nobody knows where you are // how near or how far.“ Eine schrecklich schöne Beschreibung, wie sehr sich Pink Floyd und Syd Barrett voneinander entfernt haben. Nicht nur physisch, sondern auch und vielleicht vor allem mental. Niemand wusste bei Barrett, wo er mit seinen Gedanken gerade war. Bei der Konversation oder beim letzten Rausch? Vielleicht sogar schon beim nächsten.

Und doch schwingt auch Dankbarkeit mit, zumindest in kleinen Teilen: „Pile on many more layers // and I’ll be joining you there.“ Wie schon bei „The Dark Side Of The Moon“, als es noch hieß „I’ll see you on the dark side of the moon.“ wollen sich Pink Floyd nicht ganz von Barrett trennen. Vielleicht können sie auch nicht, das kann niemand so schnell beantworten.
Musikalisch liefert dieser Track noch einmal die gesamte Palette dessen, was man an Gefühlen in einer solchen Situation durchleben kann. Melancholie, Trauer, Dankbarkeit, Angst, Wut und Sanftheit können zu gleichen Teilen gespürt werden, wenn man die Augen zumacht und es auf sich wirken lässt.

Ein Riss in der Fassade

Ein interessanter Nebenfakt: Die Aussagen, die diese Platte über die Musikindustrie trafen, hinterließen auch genau dort teils tiefe Furchen: als Pink Floyd im Jahre 1996 in die Rock&Roll-Hall of Fame aufgenommen wurden, spielten sie „Wish You Were Here“ bei der Zeremonie. Nick Mason, bei den Aufnahmen an den Drums zu hören und ebenfalls maßgeblich in das gesamte Sound-Design involviert, nahm den Preis zwar an, war aber bei der Performance des Tracks nicht dabei. Vielleicht verstand er es für sich so, dass ein solcher „Anti-Establishment-Song“ nicht bei einer Zusammenkunft eben jener kritisierten Industrie gespielt werden sollte.

Das könnte weniger mit der Bekanntheit oder dem Ruhm der Band zu tun haben als mit der Tatsache, dass Pink Floyd als die Stars, die sie eben sind, selbst ein Teil dieser Maschine geworden sind. Mason könnte es widerstrebt haben, ziellos die gesamte Zeit im Kreis zu wandern und dabei die Fehler der eigenen Idole und ihres alten Freundes Syd zu wiederholen, ohne einen Lerneffekt zu haben.

Fazit

Dieses Album ist zusammen mit „The Wall“ eines der ausdrucksstärksten Alben, die Pink Floyd veröffentlicht haben. Es erzählt eine schreckliche Geschichte so unsagbar fesselnd, dass es dich beim Hören bindet und festhält. Schwer greifbare Emotionen wie Melancholie oder den Schmerz eines solch herben Verlustes in so schaurig-schöne Musik zu verwandeln, verlangt dem Künstler einiges ab, und einer solchen Leistung gebührt Respekt. Sollte euch noch mehr zu diesem Album und der Geschichte dahinter interessieren, kann ich die 2012 veröffentlichte Dokumentation „Pink Floyd: The Story of Wish You Were Here“ empfehlen. Dort kommt jedes Bandmitglied zu Wort, neben anderen, ebenfalls an der Produktion Beteiligten. Ein hoch interessantes Werk, das mir viel über dieses Album und die Leute dahinter verraten konnte.